"Jedes Kind ist für uns ein Glück und Hoffnung für eine friedliche Zukunft" (Elzbieta Sobotka, polnische Generalkonsulin)
Es war ein berührendes Gedenken an diesem Abend des dritten Adventsonntags, dem weltweiten Gedenktag für alle verstorbenen Kinder: Nicht nur wegen der 62 brennenden Kerzen, die mit den Namen der hier vor 67 Jahren verstorbenen Kleinkinder polnischer, ukrainischer und ungarischer Mütter und Väter und den Daten ihres kurzen Erdendaseins versehen waren und die den dunklen Saal der ehemaligen Ammer-Brauerei erleuchteten, der für viele Kinder Geburtsstätte und Sterbeort in einem von August 1944 bis April 1945 wurde.
Rund hundert Besucherinnen und Besucher verfolgten mit großer Betroffenheit und Anteilnahme die Reden von Rainer Pasta, dem Historiker Jürgen Rettberg und vor allem die bewegende Ansprache der Generalkonsulin der Republik Polen, Frau Elzbieta Sobotka. Sie gedachten der Vorkommnisse dieser letzten neun Monate des Krieges und der Nazi-Diktatur ohne Schuldzuweisungen. Wie die polnische Diplomatin betonte, gehe es darum, den toten Engeln ihren Namen und ihre Würde zurückzugeben. „Jedes Kind“, so sagte sie, „ist ein Geschenk Gottes, ein Glück für uns alle und ein Stück Hoffnung auf eine bessere und friedliche Zukunft.“
Der Sprecher des SPD-Arbeitskreises Labertal, Rainer Pasta, hatte die zahlreichen Gäste, für die noch viele Stühle zusätzlich herangeschafft werden mussten, unter ihnen den Landtagsabgeordneten und Straubings Oberbürgermeister a.D. Reinhold Perlak (SPD), den ehemaligen Altbürgermeister Josef Zellmeier und 1. Bürgermeister Xaver Eggl und die SPD-Ortsvereine von Langquaid und Schierling bis Mallersdorf begrüßt. Er bedankte sich bei dem Autor der historischen Themennachmittage, Lehrer Albert Eichmeier, für seine Recherchen zum Kinderheim Laberweinting zusammen mit dem Hauptreferenten, dem Historiker und Gymnasiallehrer Jürgen Rettberg aus Sinzing bei Regensburg.
Rainer Pasta schilderte die verschlungenen Wege der Forschung, vom Internet über das Rote Kreuz-Archiv, Staatsarchiv in Landshut bis hin zu Recherchen in Kattowitz. Der SPD-Arbeitskreis Labertal versuche, mit seinen historischen Themennachmittagen und weiteren Projekten ein Stück der Heimatgeschichte von 1933 bis 1945 auszuleuchten, und sende damit ein Signal dafür, „dass sich nie wieder so etwas wiederholen darf.“ „Unsere Jugend“, so Rainer Pasta, „muss immun gemacht werden gegen die Nazipropaganda von heute und dazu dient auch der Blick zurück in ein dunkles Kapitel der Geschichte der Region.“
„Verfaulen kann man die ganze Brut auch nicht lassen.“
Mit diesem Satz aus dem Schreiben des Nazi-Bürgermeisters von Laberweinting vom 22. Juli 1944 illustrierte der Hauptreferent Jürgen Rettberg, Historiker aus Sinzing, die ganze menschenverachtende Einstellung der Nazi-Diktatur von ganz oben bis ganz unten. Denn nur so habe der millionenfache Kindermord stattfinden können. Allein Polen habe zwischen 1939 und 1945 2,225 Millionen Jugendliche im Alter von 0 bis 18 Jahren verloren, 35 Prozent der Gesamtverluste des polnischen Volkes. Fast die Hälfte einer jungen Generation sei in diesen wenigen Jahren ausgelöscht worden. Dass der Befehl für die Schaffung von Kinder- und Entbindungsheimen ab 1943/1944 direkt vom SS-Chef Heinrich Himmler und seinen nachgeordneten SS-Schergen kam, belegte Rettberg mit zwei Zitaten aus einem Brief eines SS-Obergruppenführers an Himmler und aus einer Geheimrede des Reichsführers-SS: So ist in dem Brief zu lesen, es gäbe in der Frage der Kinder der Ostarbeiterinnen nur ein Entweder-Oder. Entweder man wolle nicht, „dass die Kinder am Leben bleiben, dann soll man sie nicht langsam verhungern lassen, es gibt Formen, dies ohne Quälerei und schmerzlos zu machen.“ Himmler rühmte sich in der Geheimrede, dass die Frage der polnischen Kinder „kompromisslos gelöst“ worden sei. Himmlers fremdvölkische und rassistische Politik habe von Anfang an unter dem Diktat des Prinzips der Vernichtung gestanden. Im ganzen Reich seien „rassisch unerwünschte Kinder“ in solchen „Pflegestätten“ systematisch und absichtlich ausgehungert worden.
Für die Zustände im „Kinderheim“ Laberweinting machte Jürgen Rettberg vor allem den NS-Kreisleiter Mendler und dessen Vize Dr. Bassmann verantwortlich. Beide hätten schwere Schuld auf sich geladen. Auch der damalige Nazi-Bürgermeister hätte vieles zum Besseren wenden können, wenn er sich auf seine Dienstpflichten besonnen hätte. Die Bauern der Umgebung hätten gerne die osteuropäischen Frauen samt ihren Babies zurückgehabt, dies sei aber von den verantwortlichen Nazi-Größen Mendler und Bassmann „aus rassehygienischen Gründen“ abgelehnt worden. Ebenso hätten diese die Babies, die auf ihren Höfen lebten, gerne behalten. Aber die Kreisleitung habe die Herausgabe der Kinder erzwungen. 26 dieser 42 am 1. August 1944 „eingesammelten“ Kinder seien bis zum April 1945 gestorben. Das von Jürgen Rettberg, Rainer Pasta und Albert Eichmeier vorgelegte „Tagebuch des Grauens“ über das Polenkinderlager von Laberweinting dokumentiert nicht nur den Tod der 62 Engel und die überlebenden Kinder, vor allem schildert es die bürokratische Todesmaschinerie der „braunen Todesengel“ beim Entstehen und Betreiben des Kinderlagers.
Jürgen Rettberg schloss sein Referat mit der Erinnerung an den Kniefall von Willy Brandt 1970 am Warschauer Ghetto-Mahnmal. Der SPD-Kanzler und Widerstandskämpfer habe sich erniedrigt, um sein Volk zu erhöhen. Emotional hatte er sein Publikum schon zu Beginn eingestimmt mit dem Gedicht „Die Stimme der unschuldigen Kinder“ von Clotilde Schenk. „O Maler, wenn du malen kannst, mal uns die sieben Farben, o mal das Licht, das drüber tanzt, für uns die früher starben.“, lautet die letzte Strophe.
"Jedes Kind ist für uns ein Glück und Hoffnung für eine friedliche Zukunft"
Auch die polnische Generalkonsulin, Frau Elzbieta Sobotka, leitete ihre bewegende Rede mit einem Gedicht des berühmten schlesischen Dichters Angelus Silesius ein, das mit Blick auf den Advent und Weihnachten vom „Himmel auf Erden“ spricht. Aber es gebe auch „die Hölle auf Erden“, wie sie ihre Landeskinder und Millionen andere erfahren hätten. Sie betonte, die Erinnerung nicht aussterben zu lassen, auch wenn die Zahl der Zeitzeugen von damals immer geringer werde. „Die Zivilcourage ist eine seltene Tugend, die man aber für die Erinnerungsarbeit brauche“, sagte sie.
Die Vertreterin der Republik Polen dankte den Veranstaltern für ihren Beitrag zur regionalen Erinnerungskultur. Sie wünschte sich, dass auch Laberweinting ein Erinnerungsort werden möge. Frau Sobotka erinnerte an die gemeinsame polnische und bayerische Geschichte, die sich mit der Landshuter Hochzeit und der Theatinerkirche in München besonders manifestiere. Die Wittelsbacher in Bayern hätten vier polnische Königstöchter geheiratet. Die Entwicklung Polens sei eng mit deutschen Handwerkern und Baumeistern verbunden. Aber es gebe nicht nur die guten Seiten der Geschichte. „Flossenbürg erzählt eine andere Geschichte“, sagte sie. Ein Drittel der knapp 100.000 KZ-Insassen seien Polen gewesen. Sie berühre es immer, wenn heute 15-jährige Schüler mit über 80-jährigen KZ-Überlebenden über deren schrecklichen Erlebnisse sprächen, als sie selbst als 15-jährige Kinder im KZ eingesperrt und gequält wurden. „Unsere Verantwortung ist es, diese Geschichte nicht zu verleugnen, sondern der Wahrheit zu dienen und Zeugnis abzulegen. Dazu gehöre auch die Überwindung von Vorurteilen und die Heilung durch Erinnern. „Dass wir jetzt in Frieden leben, ist ein Geschenk der Geschichte. Wir müssen sie als eine gemeinsame Aufgabe sehen.“ Dafür müssten wir besonders auf die Kinder schauen. Es war mäuschenstill im Plenum während der Rede der Diplomatin aus Polen.
In der anschließenden Debatte kündigte Bürgermeister Xaver Eggl an, dass im nächsten Jahr die Gemeinde und die Pfarrgemeinde ein Mahnmal mit den Namen der „toten Kinder“ errichten würden, was allgemein und vor allem von der polnischen Generalkonsulin begrüßt wurde. Mit dem Versuch, seine Gemeinde von der Verstrickung in dieses Nazi-Verbrechen zu exkulpieren, lag er aber etwas daneben. Denn eine solche aktive Verstrickung des Ortes hatte ohnehin keiner der Historiker behauptet, sondern diese hatten nur die Mitverantwortung des Nazi-Bürgermeisters von damals herausgestellt. Oberstudienrat i.R. Franz Graf verwies auf die engen Kontakte des Gymnasiums nach Polen und auf die polnische Literatur im Unterricht.
Abschließend nahmen die Besucher und Besucherinnen die Lichter mit den Namen der “toten Engel“ und stellten sie ins Fenster des Saales, der vor 67 Jahren ihre Sterbestätte war. Für Rainer Pasta gehen von diesem Themennachmittag drei Botschaften aus:
1. Nie wieder solche Verstöße gegen die Menschenrechte!
2. Die jetzt Lebenden tragen die Verantwortung für den wahrhaften Umgang mit der Geschichte.
3. Die weißen Flecken zwischen 1933 und 1945 in den Ortschroniken beseitigen. Denn auch dunkle Seiten sind ein Teil der Heimatgeschichte.