Beeindruckender Historischer Themennachmittag der SPD Schierling:
„Das hätte doch jeder getan!“ Über diese Haltung der einfachen Bäuerin Anna Gnadl und der beiden anderen Retter von 13 jüdischen KZ-Häftlingen, der Polizeibeamten Max Maurer und Josef Kimmerling, setzte der SPD-Vorsitzende Armin Buchner in seiner kurzen Begrüßungsrede die Überschrift „Zivilcourage, Mut und Menschlichkeit“.
Knapp 50 Teilnehmer zählte der veranstaltende SPD-Arbeitskreis Großes und Kleines Labertal mit ihrem Sprecher Rainer Pasta aus Geiselhöring im Saal des Buchner-Wirtes, unter ihnen Angehörige von Anna Gnadl und Max Maurer sowie Mitglieder des Arbeitskreises Geschichte Ergoldsbach, Josef Wargitsch, Rektor der Hauptschule Ergoldsbach, Josef Wimbürger, ehemaliger Rektor der Grundschule Ergoldsbach und Schwiegersohn von Max Maurer, sowie Oberstudienrat Franz Graf. Sie alle erlebten eine ebenso spannende wie bedrückende und beeindruckende Schilderung der Geschehnisse vor 65 Jahren zwischen Oberlindhart, Neufahrn und Ergoldsbach durch den SPD-Ortsvorsitzenden und Lehrer Jürgen Rettberg aus Sinzing.
Allersdorf. Dass Allersdorf als Veranstaltungsort gewählt wurde, begründete der SPD-Ortsvorsitzende einmal mit der Mitbürgerin Franziska Weigl, einer Tochter von Anna Gnadl, der er über ihre anwesenden Angehörigen die besten Genesungswünsche übermitteln ließ.
Zum anderen erinnerte er die ebenfalls von Menschlichkeit geprägten Haltung seiner Großmutter und Buchner-Wirtin Anna Buchner gegenüber einem Kriegsgefangenen aus Saint Malo in der Normandie, die später zu einer intensiven privaten deutsch-französischen Freundschaft geführt habe.
Der Referent des Nachmittags, Jürgen Rettberg, schilderte eingangs kurz die Quellenlage für die letzten Kriegswochen und das „gespenstische Szenario“ der Todesmärsche, die von den Konzentrationslagern Buchenwald und Bergen-Belsen über Flossenbürg nach Dachau und bis zur österreichischen Grenze führten. Grundlage waren Befehle von Adolf Hitler und vom „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler, „dass kein Häftling lebend in die Hände des Feindes fallen“ dürfe und dass jeder Deutsche, der einem jüdischen, englischen oder amerikanischen Gefangenen zur Flucht verhelfe, sofort hinzurichten sei. Dass die SS gerade in den letzten Wochen geradezu im Blutrausch aus Lust am Untergang, Frust über den Machtverlust und Mordlust wahllos mordete und dabei auch vor den Landsleuten nicht Halt machte, verdeutlicht das große Risiko, das die drei namentlichen Retter auf sich genommen hatten.
Von KZ Buchenwald bei Weimar wurden Anfang April 1945 28.250 Häftlinge auf den mörderischen Weg in den Süden geschickt. In Holzpantinen und dürftiger Häftlingskleidung legten die Opfer in knapp drei Wochen knapp 600 Kilometer zurück, wobei 7000 bis 8000 ihr Leben verloren, erschossen, von Hunden zerfleischt, verhungert oder aus Entkräftung. Von dem Zug, der zwischen dem 6. und 8. April 1945 in einer Stärke von ca. 1.600 Personen das KZ Buchenwald verließ und über Hof, Weiden, Flossenbürg, Cham, Wörth, Sünching, Oberlindhart und Ergoldsbach nach Landshut führte, verloren knapp 1.300 Häftlinge ihr Leben. Alleine zwischen Grasslfing und Grafentraubach wurden 43 von ihnen ermordet und drei weitere in Oberlindhart erschossen. Glück hatte ein Häftling, der vom Müllermeister Johann Huber aus Oberlindhart am 26. April versteckt und wochenlang gepflegt wurde.
Die Rettung der dreizehn jüdischen Häftlinge in den Tagen vom 26. bis 29. April 1945 schilderte Jürgen Rettberg anhand der vorhandenen Aktenlage und Befragungen akribisch genau und fast minutiös. Der Rest der bis dahin überlebenden Elendskolonne wurde von der SS am 26. April in der Scheune der Bäuerin Centa Schmalzl einquartiert. In der Nacht zum 27. April veranlasste die Sprengung der Eisenbahnbrücke bei Oberlindhart die SS zu einem panikartigen und überstürzten Aufbruch, den die dreizehn jüdischen Häftlinge nutzten, sich tief im Heu zu verstecken. Der zuständige Polizeimeister Josef Kimmerling entdeckte sie zwar im Laufe des 27. April und verbrachte sie in die Arrestzelle nach Neufahrn. Am gleichen Tag eröffneten ihm drei Angehörige der Waffen-SS in Neufahrn, sie seien zurückgeblieben, um in Oberlindhart unter den zurückgebliebenen Juden „aufzuräumen“. Auf Grund des Himmler-Befehls sei jeder flüchtige Jude zu erschießen und dieser Befehl auch ihn, Kimmerling, binde, falls er nicht ebenfalls hingerichtet werden wolle. Für den Polizeimeister war aber schon vorher klar, was ihm sein Gewissen befahl. Er hatte an diesem Tag bereits die Bitte eines der gequälten KZ-Opfer, ihn zu erschießen, abgelehnt. Er übergab die 13 KZ-Häftlinge am folgenden Tag seinem Ergoldsbacher Polizeikollegen Max Maurer, der sie in der Scheune von Anna Gnadl unterbrachte und sie von der Bäuerin mit warmen Essen versorgen ließ.
Es war eine ebenso gespenstische wie erschütternde Szene, die Jürgen Rettberg schilderte. Er würdigte die drei Lebensretter als „stille Retter, die ihrer Tat nie große Bedeutung beigemessen haben, weil es für sie nichts weiter war als ein Akt einfacher Menschlichkeit, zu dem sie sich aus christlicher Nächstenliebe verantwortlich fühlten.“ Die Rettung der dreizehn Juden habe zwar nicht die Dimension der Tat von Oskar Schindler, schloss Jürgen Rettberg seinen Vortrag, aber für beide gelte das Talmud-Wort: „Wer immer ein Menschenleben rettet, hat damit die ganze Welt gerettet.“
Die stellvertretende SPD-Ortsvorsitzende Madlen Melzer leitete mit dem bewegenden Gedicht von Johannes R. Becher „Die Kinderschuhe von Lublin“ über die Ermordung Tausender von Kindern in Polen die anschließende Gesprächsrunde ein.
Martin Auer berichtete anhand von Unterlagen aus der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg über eine andere Todesmarschkolonne von 400 Häftlingen, die von Flossenbürg nach Regensburg und von dort entlang der B 15 nach Landshut und bis nach Leobendorf im Landkreis Berchtesgadener Land führte. Von den 400 für Regensburg gezählten Häftlingen erreichten nur noch 140 den Ort ihrer Befreiung. Die Akten vermerken am 23. April für Hagelstadt, Eggmühl, Oberdeggenbach und Buchhausen je ein Opfer, und am 24. April in Oberlindhart neun und für Iffelkofen zwei tote KZ-Häftlinge.
In der Diskussion schilderte Rektor Josef Wargitsch kurz die schlagzeilenträchtige versuchte Namensgebung für die Grund-und Hauptschule Ergoldsbach. Für Oberstudienrat Franz Graf ist es sehr schwierig, Zeitzeugen als Augenzeugen zu finden. Ein wesentlicher Punkt der Aussprache war auch die Behandlung der Kriegsgefangenen in der Landwirtschaft oder in Betrieben. Eine von christlichen Werten geprägte menschliche Behandlung sei keine Selbstverständlichkeit gewesen, zumal sie gegen die NS-Vorschriften verstoßen habe.
Hans Gammel zollte dem Arbeitskreis Labertal großes Lob für diese Veranstaltung.
Dass Mut und Menschlichkeit auch heute noch von großer Bedeutung seien, machte Armin Buchner in seinem Schlusswort am Beispiel des Dominik Brunner aus Ergoldsbach, der in München seinen Einsatz für Kinder mit dem Leben bezahlt habe. Er sah in solchen Veranstaltungen eine Aufforderung zur Bekämpfung des Rechtsextremismus.
Abschließend lud Armin Buchner zu einer Busfahrt des Arbeitskreises am 8. Mai nach Flossenbürg ein mit kurzen Gedenkfeiern am KZ-Friedhof in Steinrain und in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg an der Hinrichtungsstätte des am 9. April 1945 ermordeten evangelischen Pfarrers und Theologen Dietrich Bonhoeffer und am Mahnmal für die verfolgten und ermordeten Sozialdemokraten.