Wie echte Bürgerbeteiligung ohne Bevormundung durch das Rathaus und die Mehrheitsfraktion aussieht, das erfuhr am Wochenende eine Delegation des SPD-Ortsvereins in der Klostergemeinde Weyarn, an der A 8 im Landkreis Miesbach gelegen.
Warum die knapp 3.400 Seelen und 50 Quadratkilometer mit 22 Gemeindeteilen umfassende Landgemeinde den Europäischen Dorferneuerungspreis und den bayerischen Staatspreis erhielt sowie die bayerische Expo-Gemeinde 2000 in Hannover wurde und von der Bertelsmann-Stiftung als „Bürgerorientierte“ Gemeinde ausgezeichnet und das Netzwerk CIVITAS aufgenommen wurde, schilderte Weyarns 1. Bürgermeister Michael Pelzer zusammen mit Beate Höß von der SPD-Fraktion im Sitzungssaal des Rathauses den Gästen von der Großen Laber.
Am Nachmittag präsentierten Gemeinderätin Beate Höß und die stellvertretende SPD-Ortsvorsitzende Rosi Fischbacher sowie Vorstandsmitglied Hermann Stögmair einige zentrale Dorfentwicklungsprojekte. Schon vorher konnte die Schierlinger SPD-Vertretung bei einer kleinen Gemeinderundfahrt erfahren, wie eine ganzheitliche und nachhaltige Dorfentwicklung mit dem Einklang zwischen „Wohnen, Arbeiten und Leben“ als einem Ziel aussehen kann.
„In Weyarn geht nichts ohne Beteiligung der Bürger. Politik, Verwaltung und Bürger arbeiten auf allen kommunalen Handlungsfeldern zusammen.“
Diese Grundvoraussetzung der echten Bürgerbeteiligung stellte 1. Bürgermeister Michael Pelzer an den Anfang seiner umfangreichen Powerpoint-Präsentation im Sitzungssaal. Es handle sich dabei um einen ganzheitlichen Ansatz einer nachhaltigen Politikänderung, der auf die gesamte Bevölkerung ausgerichtet sei, nicht auf einzelne Zielgruppen und die Interessen einiger weniger. Er nutze alle Kompetenzen in der Gemeinde zum Wohle der gesamten Bürgerschaft und nicht zum Vorteil einer Partei nutzen wolle. Voraussetzungen seien dafür, so Bürgermeister Pelzer, die Bereitschaft des Gemeinderats gewesen, „Macht“ abzugeben, gleichzeitig die Bereitschaft der Bürger, „Verantwortung“ zu übernehmen und schließlich die Bereitschaft der Verwaltung, den Bürger nicht als „Störfaktor“ zu sehen, wenn er nicht gleich „spure“ oder wenn er anderer Meinung als die Rathausspitze sei.
Ausführlich stellte der Bürgermeister dann das Weyarner „Zwei-Säulen-Entscheidungsprinzip“ vor, das auch satzungsrechtlich abgesichert wurde. Ausgangsbasis sind dabei die Bürger. Sie organisieren sich in Bürgerwerkstätten und vor allem in Arbeitskreisen, die ein eigenes Budget und zur Unterstützung professionelle Planer auf Kosten der Gemeinde sowie die Möglichkeit für Qualifizierungsmaßnahmen erhalten. Eine Koordinationsstelle und ein Steuerungs- und Entscheidungsgremium koordinieren die Arbeit der Arbeitskreise und bereiten die Planungsergebnisse und Vorschläge für den Gemeinderat vor. Eine gemeinsame Projektgruppe aus Vertretern der Arbeitskreise, Gemeinderat, Bürgermeister und Verwaltung übernimmt das Controlling bei der Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen.
Eine wesentliche Voraussetzung für die echte Bürgerbeteiligung war nach Meinung von Bürgermeister Pelzer auch die Umstellung auf das „Neue Kommunale Finanzwesen (NKF)“ in der Verwaltung. Es eröffne die Chancen für eine ebenso nachhaltige und , generationengerechte wie transparente, offene und ehrliche Politik. Betriebswirtschaftliche Effizienz und bürgerorientiertes Politikverständnis seien Voraussetzung.
„Politiker und/oder Verwaltungschefs und Beamte, die davon überzeugt sind, dass sie in der Regel alles besser wissen, sollten die Chancen von Neuer Kommunaler Steuerung und Neuem Kommunalen Finanzwesen nicht nutzen“, warnte allerdings der Weyarner Bürgermeister.
Der Delegation der Schierlinger SPD kam diese Beschreibung irgendwie bekannt vor.
Wie der Grundsatz „Nicht ohne meine Bürger“ und die Wegbeschreibung zur Bürgergesellschaft in der Praxis aussieht, konnten die Schierlinger Gäste bei der kurzen Rundfahrt und beim Rundgang im Hauptort am Beispiel der neuen Schule und des im Bau befindlichen Kinderbetreuungszentrums sowie im Gespräch mit den Gemeindevertretern erfahren.
An beiden Projekten hätten schon in der Planungsphase an entscheidender Stelle die Kinder und Schüler, die Lehrer und Erzieherinnen sowie vor allem auch die Eltern mitgewirkt, „nicht immer zur großen Freude der Architekten, weil die Baumaßnahmen dadurch erheblich billiger wurden“, so Bürgermeister Pelzer.
Der Dorfentwicklungsplan sei ebenso unter Beteiligung aller Bürger in allen Ortschaften entstanden. Eine isolierte Betrachtung des Kernortes Weyarn hätte die Gefahr mit sich gebracht, dass zwar die Bedeutung des Kernortes klar werde, nicht aber die Funktionen der anderen Ortschaften und die Wechselwirkungen zwischen ihnen und dem Kernort. Zu den Zielsetzungen gehörten die Einheit eines geistig lebendigen kulturellen Zentrums mit selbstbewusst bodenständigen dörflichen Traditionen ebenso wie umweltbewusste Landwirte, innovatives Handwerk und Gewerbe sowie moderne Dienstleistung als „Rückgrat der ökonomisch vitalen Gemeinde Weyarn“. Fehlen dürfe dabei nicht eine gesunde Umwelt mit intakten Lebensräumen als Gütesiegel.
Wie das Leitziel „Wir wollen ländlicher Raum bleiben“ in der Praxis aussieht, illustrierte der Bürgermeister am Bauleitbild. „Für die Zukunft vorsorgen“ heißt für die Gemeinde das Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten, qualitätsvolle Planung und Schonung der Bauerndörfer durch ein konsequentes Bodenmanagement zur Sicherung von bezahlbarem Wohnraum für ortsansässige junge Familien auf der Basis eines Erbbaurechts für 150 Jahre und durch ein dezentrales Gewerbekonzept. Dieses räume Gewerbeansiedlungen in den Dörfern zu deren Stärkung den Vorrang ein. Aus diesem Grund hätten zum Beispiel die Bürgerschaft und der Gemeinderat die Ansiedlung eines lukrativen riesigen Gewerbeparks an der Ausfahrt der Autobahn - A 8 - München-Salzburg abgelehnt. Auch mit finanziellen Geschenk-Angeboten der Investoren hätten sie sich nicht einkaufen lassen. Bürgermeister Pelzer: „Die Zukunft unserer Gemeinde ist uns mehr wert.“
Marktrat und SPD-Ortsvorsitzender Armin Buchner zeigte sich beeindruckt über die gewonnenen Einsichten und Ansichten einer echten Bürgerbeteiligung. Als Dankeschön überreichte er 1. Bürgermeister Pelzer und der SPD-Fraktion mit dem SPD-Ortsverein jeweils einen Schierlinger Präsentkorb. Er sah den SPD-Ortsverein mit der Unterstützung der Bürgerinitiativen zur MUNA-Nachnutzung, für eine bessere DSL-Versorgung und auch aktuell gegen den fest fixierten Standort einer großen Biogasanlage auf dem richtigen Weg hin zu einer echten Bürgergesellschaft ohne Bevormundung und mit dem Leitziel:
„Wir sind Gemeinde.“
Den Abschluss der Informationsfahrt in die Klostergemeinde an der Mangfall bildete ein kurzer Besuch der Klosterkirche St. Peter und Paul. Martin Auer, der hier in Kindheitstagen ministriert hatte und gefirmt wurde, machte den sachkundigen Führer bei der Besichtigung der von Johann Baptist Zimmermann erbauten Rokokokirche und den weltberühmten Schnitzskulpturen von Ignaz Günther.