Neben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), dem schleswig-holsteinischen FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki, dem Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin und dem Chef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, trat für die SPD 2012 deren designierter Spitzenkandidat Christian Ude an. Das Duell hatte bereits begonnen - obwohl die Redner noch gar nicht auf der Bühne standen. Am Sonntag verschickte die bayerische SPD eine Pressemitteilung, in der Christian Ude erklärte: "Wenn ein Rededuell in Niederbayern spannend zu werden verspricht, braucht Horst Seehofer prominente Schützenhilfe. In Vilshofen wurde Edmund Stoiber reaktiviert, dessen Amtszeit Seehofer gerne als 'Jungsteinzeit' bezeichnet, um sich so weit wie möglich davon abzusetzen. Morgen muss die Kanzlerin herhalten, der die CSU so gerne vors Schienbein tritt. Aber wenn Not am Mann ist, sucht die CSU auch gerne wieder an Angela Merkels Rockzipfel Halt."
Schon vor 10 Uhr ist im Jungbräu-Zelt einiges los. Viele hier tragen Tracht, von der Bühne tönt Blasmusik. Am Eingang verteilen SPD-Anhänger Luftballons mit der Aufschrift "Wir brauchen frischen Wind", auf dem Tisch liegen Bierdeckel mit dem Konterfei von Ude und einigen Daten zu seinen Erfolgen in München. Ein älterer Herr läuft mit einem Schild durch die Reihen im SPD-Zelt. Darauf ein rotes Herz und der Text "Mein Herz schlägt links". "Wir brauchen endlich den Wechsel in Bayern", sagt er. "Und mit Ude haben wir eine Chance."
Als im Jungbräu Christian Ude überpünktlich eintrifft und an den Biertischen vorbeimarschiert, stehen die Leute auf, klatschen, schwenken SPD-Fahnen. Dann werden erst einmal Fotos gemacht, die Kapelle spielt ein Prosit der Gemütlichkeit. Gut gelaunt gibt Ude vor der Bühne Interviews. In Bayern gebe es „einen Überdruss an der CSU-Herrschaft“, sagte Ude, derauf dem Gillamoos so viele Zuhörer anzog wie seit längerem kein SPD-Redner. Ude spottete über Merkels Auftritt. „Ich finde es schmeichelhaft, dass die CSU ihre allerletzten Reserven aufbieten muss, um gleichzuziehen. Hier wird jetzt sogar Mutti zu Hilfe gerufen, der vor einer Woche noch in unflätiger Weise vors Schienbein getreten wurde“, sagte der SPD-Politiker über die Auseinandersetzungen zwischen CSU und CDU um Griechenland. Die Journalisten treibt vor allem die Frage um, wer aus der SPD-Troika denn nun Kanzlerkandidat werden soll. Immerhin spricht nur wenige Meter von hier an diesem Montagvormittag die Kanzlerin. Und auch Sigmar Gabriel (2010) und Peer Steinbrück (2009) waren schon in Gillamoos. Eine Antwort bekommen sie von Ude nicht. Der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude hat sich gegen eine Urwahl des SPD-Kanzlerkandidaten durch die Parteibasis ausgesprochen. „Bei drei Kandidaten halte ich das für sehr bedenklich, weil möglicherweise dann keiner ein überzeugendes Ergebnis erzielt“, sagte Ude am Montag am Rande des Gillamoos-Volksfests in Abensberg. „Das ist ein Thema, das eher die Medien umtreibt, weniger die SPD.“ Prinzipiell könne eine Urwahl sinnvoll sein – aber eher bei zwei Kandidaten mit klaren inhaltlichen Unterschieden.
Die Reden beginnen. Auf der Bühne begrüßt die Kelheimer Landtagsabgeordnete Johanna Werner-Muggendorfer die Besucher – u.a. ihren Straubinger Kollegen Reinhold Perlak, MdL und den stellv. Niederbayernvorsitzenden, Christian Flisek. "Herzlich willkommen bei der SPD", sagt sie wie gewohnt auf Bayerisch. "Unser Thema ist Gerechtigkeit und es kann nicht sein, dass jemand sein ganzes Leben arbeitet und dann nicht genug Rente bekommt", ruft sie. Das kommt im Bierzelt gut an, nicht nur die älteren Zuhörer klatschen begeistert. Dann kommt wieder Musik. Der obligatorische Gstanzl-Sänger macht nun Witze über die Kanzlerin, die kein Bier mag und die man sich im Dirndl kaum vorstellen kann.
Bevor Christian Ude die Bühne im SPD-Zelt betritt, gibt Landeschef Florian Pronold den Einheizer. Und der knöpft sich erst einmal Finanzminister Markus Söder vor, der kürzlich mit dem Negativpreis "Goldener Föhn" als "größter Dampfplauderer" ausgezeichnet wurde. "Weil er der Politiker ist, der am meisten heiße Luft verbreitet", ruft Pronold. Sein Lieblingsgegner scheint allerdings CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt zu sein, der jüngst mit seinem Anti-Euro-Populismus aufgefallen war. "Für schwer erziehbare Kinder wie Dobrindt haben die jetzt extra die Kanzlerin in Gillamoos eingeflogen, damit die mal erklärt wie das mit Europa ist", ruft er. Die SPD teilt aus auf dem Gillamoos. Der Chef der Bayern-SPD über die schwarz-gelbe Koalition: „Ein Hühnerhaufen ist eine militärische Kampfformation im Vergleich zur schwarz-gelben Koalition. Die streiten wie die Kesselflicker.“
Pünktlich um 10.45 Uhr betritt Ude die Bühne und wird mit Applaus begrüßt. "Ich seh' was, was ihr nicht seht: nämlich ein gefülltes Bierzelt", sagt er zu Begrüßung. 2500 Menschen sollen da sein. "Das macht Spaß", ruft Ude und beginnt sofort über die "grottenschlechte" schwarz-gelbe Regierung zu schimpfen. SPD-Hauptredner Christian Ude watscht ebenfalls CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt ab. In der Euro-Krise warf er der CSU "skrupellose Vereinfachung" vor. Die Forderungen von Generalsekretär Alexander Dobrindt und Bayerns Finanzminister Markus Söder seien nur Stimmungsmache, wetterte er. "„Griechen raus“ erinnert mich an übelste Parolen“, sagte der Münchner Oberbürgermeister im voll besetzten Jungbräu-Festzelt. Von vielen Missständen in Griechenland habe er sich vor Ort persönlich überzeugt, sagt er. Das Verhalten der dortigen Oberschicht, die kaum Steuern zahle, sei ein Skandal. Aber er höre immer nur "Griechen raus", sagt Ude. Und Ressentiments, Separatismus und Kleinstaaterei von der CSU. "Mehr daneben liegen kann man nicht", ruft er. „Wir wollen europäische Missstände angreifen, aber nicht andere europäische Völker.“
Der Kanzlerin trete doch nur in Abensberg auf, "damit sich die frechen Buben an Muttis Rockzipfel wieder festhalten können", sagt er. "Das ist nicht wie hier ein Treffen von Gleichgesinnten, sondern das ist eine pädagogische Maßnahme für unerzogene Generalsekretäre, die eine Wirtshausschlägerei nicht von internationaler Finanzpolitik unterscheiden können". Er wünsche der Kanzlerin deshalb "Mut und Kraft". Kanzlerin Angela Merkel solle bei ihrer Gillamoos-Rede den CSU-Anhängern erklären, „warum Horst Seehofer und die Seinen allen Rettungsschirmen zugestimmt haben“. CSU-Chef Seehofer rufe in Bayern rote Linien aus „und überschreitet sie in Berlin Arm in Arm mit der Kanzlerin“. Den Dauerstreit in der schwarz-gelben Bundesregierung bewertete Ude als hoffnungsvolles Zeichen für die SPD: „Das sind fast schon Wunschrufe: Befreit uns endlich von der Regierungslast. Wir können es nicht.“
Christian Ude nimmt nun Stellung dazu, was er in Bayern ändern wolle, falls es denn mit der Wahl zum nächsten bayerischen Ministerpräsidenten klappen sollte. Eine SPD-Landesregierung würde sich für flächendeckende Kinderbetreuung und Gemeinschaftsschulen einsetzen, sagt Ude. "Wir müssen uns an der Realität der Familie orientieren, nicht am CSU-Leitbild", ruft er. Beschämend sei, dass nirgendwo die Schuldbildung so sehr vom Geldbeutel abhänge wie in Bayern. Den Populismus und die rüpelhaften Sprüche der Parteirivalen, die Ude immer wieder kritisiert, will er sich nicht zu eigen machen. Und so erklärt er ausführlich, warum auch die SPD – wie die CSU – findet, dass der Länderfinanzausgleich Bayern benachteilige. „Stimmt, die Bayern kommen zu kurz“, ruft Ude donnernd. Doch wo für einen CSU-Redner das Thema endet, geht es bei ihm erst richtig los. Eben jene Politiker, die heute in Karlsruhe gegen die Ausgleichzahlungen klagen wollen, hätten den Finanzausgleich dereinst beschlossen und als großen Erfolg der CSU verkauft.
Und macht Ude Werbung für sich selbst - schließlich will er 2013 bayerischer Ministerpräsident werden. "Liebe niederbayerischen Freunde und Freundinnen: Wenn Sie der Meinung sind, dass es den Münchnern zu gut geht, dann sollten Sie sich doch mal fragen: Wie haben die das gemacht? Und wen haben die immer und immer wieder gewählt?" Es sei absurd, dass die Staatsregierung nun den Anwalt der Enterbten und Entrechteten gebe. "Das ist Schmierentheater", ruft Ude. Christian Ude ist gut gelaunt. Er macht sich in seiner Rede über die CSU lustig. Über Landtagspräsidentin Barbara Stamm, die der Bundesregierung vorwirft, nicht genug gegen Altersarmut zu tun. Über den bayrischen Umweltminister Marcel Huber, der Angst habe, dass Berlin auch unter ihrem neuen Umweltminister die Energiewende verschlafe und Süddeutschland bald im Dunkeln sitze. Dann ist FDP-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger dran, die den Ankauf von Steuer-CDs unter Strafe stellen lassen will. "Da fragt sich doch jeder, ob diese Bundesregierung noch alle Tassen im Schrank hat", ruft Ude. Im Jungbräu steigt nun die Stimmung, immer wieder klatschen die Leute, rufen "Super".
Im Jungbräu gibt es nun sogar ein Kompliment für Merkel: "Das Krisenmanagement der von ihr geführten Bundesregierung war tatsächlich ordentlich", sagt Ude. Er fügt dann aber hinzu: Dank der sozialdemokratischen Minister, die noch solide gearbeitet hätten. Vor allem für Peer Steinbrück findet Ude viele positive Worte. Dann geht es um den Raubtierkapitalismus und wie man der Euro-Krise begegnen sollte. Ude ist eben nicht mehr nur Münchner Oberbürgermeister, sondern auch bayerischer SPD-Spitzenkandidat. Das merkt man an diesem Montagvormittag. Und Ude haut nicht einfach drauf, sondern mutet seinen Zuhörern zu, was zu seinem politischen Stil gehört: das ausführliche Argument. „Das war jetzt eine etwas strapaziöse Lektion“, meinte er abschließend und wird wieder kämpferischer.
Eine Stunde redet Ude. Es geht um den Mindestlohn, die Bayerische Landesbank – er will die Studiengebühren abschaffen und die Kinderbetreuung ausbauen. Und immer wieder geht es um die Fehler der CSU. Ude hat sich in Rage geredet. "Sie sollten auch darüber nachdenken, ob es nach 55 Jahren der Machtentfaltung und des Machtmissbrauchs in Bayern nicht an der Zeit ist für einen demokratischen Wechsel" ruft er. "Ich denke, dass Bayern es verdient hat, dass es gerechter und sozialer wird, demokratischer und ökologischer."
Dann ist sein Auftritt vorbei. Im Zelt stehen nun die Leute von ihren Plätzen auf und klatschen minutenlang während Ude auf der Bühne einen Schluck Bier nimmt. Von den Abensbergern gibt es als Dankeschön noch eine Turm Weisse, ein spezielles Weißbier. Dann ist der Auftritt der SPD vorbei. Bald herrscht im Jungbräu wieder reine Bierzeltstimmung. Einige fotografieren noch schnell Ude, der vor der Bühne Hände schüttelt, andere stehen vor dem Zelt und diskutieren über den Auftritt. "Das hat er gut gemacht", sagt ein älterer Herr in Tracht.
Und was brachte die Bundeskanzlerin?
Mit einem flammenden Appell für Europa und dessen Einigung hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) von harschen Tönen aus der Schwesterpartei CSU zur europäischen Schuldenkrise abgesetzt. Merkel mahnte zwar Länder wie Griechenland, ihre Hausaufgaben zu machen und erklärte man wolle eine Stabilitäts- und keine Schuldenunion. Zu den neuen alarmierenden Zahlen zur Altersvorsorge und dem Streit über die sogenannte Zuschussrente nahm sie nicht Stellung. Dann, endlich nach gut 30 Minuten, darf Merkel raus aus dem Bier- und Bratendunst. Betrunkene CSUler bejubeln eine nüchterne Ostdeutsche, frotzelt die Presse. Eine Zuhörerin wird in der Presse zitiert: „Gut, die Rede ist jetzt nicht so mitreißend gewesen, aber das sei ja letztendlich egal." Ein typische Gillamooser Zelt-Hopper meinte sogar: „Die Merkel hab ich a gehört”, sagt er: „Aber die kann ja gar nix!” Den Stoiber, den hätte er gerne zurück. „Oder no besser: An Strauß”. Aus den Lautsprechern dröhnte zum Abschied das Lied „Tage wie diese“ von den Toten Hosen.
Gillamoos 2013: Voraussichtlich Rededuell Seehofer - Ude
Schon längst laufen die Vorbereitungen für den Jubiläumsgillamoos im nächsten Jahr, das Fest wird dann 700 Jahre alt. Zu erwarten ist ein direktes Duell zwischen Ministerpräsident Horst Seehofer und seinem Herausforderer bei der Landtagswahl, Christian Ude. Dessen Teilnahme ist wohl sicher, wie er selber zu verstehen gab. Und Seehofer? Der hat, seit er Ministerpräsident ist, noch nie am Gillamoos gesprochen. Nächstes Jahr, heißt es, wird er endlich kommen. Wenige Wochen vor der Wahl. Ude freut sich drauf und meinte: „Seehofer scheut den direkten Vergleich wie der Teufel das Weihwasser”.