Organisieren die Historischen Themennachmittage: Die Ortsvorsitzenden Madlen Melzer (Schierling) und Johannes Faden (Geiselhöring), Historiker Albert Eichmeier, Dr. Norbert Aas mit seiner Schwester Elisabeth Scherm, die AK-Sprecher Ruth Müller und Rainer Pasta sowie Armin Buchner aus Schierling
„GELINZT ... die Euthanasie-Opfer aus dem Labertal“
Auch aus unserer Region wurden behinderte Menschen in die Gaskammer von Hartheim/Linz geschickt
Im vollbesetzten Saal des Gasthauses Wild in Geiselhöring referierte Dr. Norbert Aas aus Bayreuth über die aus der Region stammenden Opfer des Euthanasie-Programms der Nationalsozialisten. Mit den Historischen Themennachmittagen macht der SPD-AK Labertal deutlich, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht irgendwo, sondern überall - auch in unserer Region – verübt wurden und dass es an der Zeit ist, den Mantel des Schweigens abzustreifen. „Gerade die aktuell zunehmenden Aktivitäten der Neonazis in Niederbayern werfen ein ganz besonderes Licht auf diese Taten, denn an der menschenverachtenden und mörderischen Gesinnung der Nazis hat sich bis heute nichts geändert“, so Rainer Pasta, Sprecher des Arbeitskreises Labertal.
SPD-Ortsvereinsvorsitzender Johannes Faden konnte eine Vielzahl von Besuchern aus nah und fern zum Themennachmittag in Geiselhöring begrüßen. Besonders auffällig war die breit gefächerte Altersstruktur und trotz des schwierigen Themas fanden sehr viele Menschen den Weg zur SPD – noch dazu an einem frühlingshaften Sonntagnachmittag.
„Eigentlich freut man sich ja, wenn man mit seinen Vortragsthemen den Puls der Zeit trifft und auf aktuelle Geschehnisse verweisen kann“, so AK-Sprecher Rainer Pasta in seiner Einführung. „In unserem Fall ist es aber leider kein Grund zur Freude, wie aktuell der AK Labertal mit den Inhalten der Historischen Themennachmittagen ist. Eine zunehmende Präsenz der Neonazis auf den Straßen unserer Städte und Dörfer, die Morde der Dresdner Nazigruppe und als letztes der Beweis für die zunehmende Bewaffnung und Radikalisierung der rechten Szene geben wahrlich keinen Grund zur Freude. Der Protest ist glücklicher Weise vielfach und nachhaltig, aber der große Aufschrei in der Bevölkerung bleibt auch weiterhin aus“, so Pasta weiter. Die meisten Menschen glaubten, dass der Holocaust der Nazis mit der Ermordung der Juden seinen Anfang nahm. „Doch es gibt eine Gruppe, die den massenhaften Nazimorden noch vor den Juden ausgesetzt war: Die Behinderten und genetisch Kranken in Deutschland, in Bayern und auch hier im Labertal“ führte Pasta die Zuhörer an das Thema heran. „In Wirklichkeit begannen die Vernichtungsoperationen im Januar 1940 mit der Ermordung der wehrlosesten Menschen in der Gesellschaft – den Behinderten und Alten“. Der Grund für diese Massenmorde sei in der Ideologie der Nazis verwurzelt. „Der Nationalsozialismus war – und ist - primitiver Rassismus“, so Rainer Pasta.
Sterilisierung war die erste Stufe des Massenmordes
Die erste Stufe des Massenmordes, den die Nazis an den Behinderten begingen, war deren Sterilisierung. Hunderttausende von behinderten Menschen wurden aus Krankenhäusern, Kliniken oder von zu Hause abtransportiert, in "Sterilisationszentren" gebracht und dort zwangsweise operiert. Bei den brutal durchgeführten Operationen starben manche Patienten, andere litten monatelang unter schrecklichen Schmerzen und die meisten konnten sich jahrzehntelang nicht von den psychischen Folgen des Erlebten befreien – viele Angehörige scheuen noch heute das Erinnern. Die Schlüsselfigur für diese Sterilisationen in der Region Mallersdorf/Rottenburg war wohl der beamtete Kreisarzt Dr. Georg Kuffner, dessen Akten der Historiker Albert Eichmeier im Zusammenhang mit dem „Polenkinderlager in Laberweining“ entdeckt hat. Kuffner wird in einem zweiten Entnazifizierungsverfahren – nach Kriegsende gelang es ihm durch geschickte Irreführung der Behörden als Entlasteter durchzukommen - vorgeworfen, gesunde Menschen für schwachsinnig erklärt zu haben, die daraufhin in Lagern starben. Weiter wird ein Fall dokumentiert, indem Kuffner eine eigene Anzeige beim Erbgesundheitsgerichts Landshut weiterverfolgen ließ, obwohl sie in erster Instanz abgewiesen wurde. Fälle aus Holztraubach, Gerabach, Ascholtshausen, Hofkirchen, Weichs, Ergoldsbach und Hainkirchen sind aus den Akten zum Prozess gegen Kuffner bekannt. Schließlich wurde Dr. Georg Kuffner als Aktivist zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt. Das Gericht zeigte sich 1947 überzeugt: „Was in Heil- und Pflegeanstalten, in Krüppel- und Altenheimen vorging, ist in der Welt bekannt. Zwangsmaßnahmen, Freiheitsberaubung und Mord waren tägliche Vorkommnisse. Dieser nationalsozialistische Gesundheitsdienst fand in den amtsärztlichen Dienstzimmern Anfang und Fortsetzung und in den Gaskammern und Verbrennungsöfen sein Ende.“ – „Ein schwerer Trugschluss, wie sich in den folgenden Ausführungen zeigt“, so Pasta abschließend.
Rund 7000 Hartheimer Opfern einen Namen gegeben
Nach der bereits angesprochenen Sterilisierungsphase begann mit der Umsetzung des Euthanasieprogramms T4, die genauestens geplante Ermordung der Behinderten. Dr. Norbert Aas, freischaffender Historiker aus Bayreuth, beschäftigte sich in einem Forschungsauftrag die letzten 10 Jahre eindringlich mit den Euthanasieopfern aus Bayern und arbeitet derzeit an einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der Geschehnisse. Rund 7000 Hartheimer Opfern konnte er anhand von Aufnahmebüchern, die in den jeweiligen Anstalten aufbewahrt wurden, bisher wieder einen Namen geben. Die Heil- und Pflegeanstalten in Regensburg, Mainkofen, Münchshöfen und Straubing (Barmherzige Brüder) eröffneten ihm die Namen der Opfer aus der Region. Viele Bespiele belegen, dass beim Thema Euthanasie die Verbrechen der Nazis bis in die Familien vor Ort hinein gewirkt haben. Aus Geiselhöring(4), Neufahrn (2),Ergoldsbach(1), Pfeffenhausen(1), Rottenburg(4), Sünching(1), Aufhausen(1), Pinkofen(1), Schierling(2), Straubing(18) und Strasskirchen(2) kann Norbert Aas Fälle belegen.
Nach den grundsätzlichen Bewertungen des Euthanasieprogramms zeigte Norbert Aas am Beispiel des Geiselhöringer Bürgers Jakob Kerl die Erfassung, Bewertung und gutachterliche Umsetzung der Anordnung Adolf Hilters auf, die zur Vernichtung „unwerten Lebens“ in hunderttausendfacher Weise führte. „Das deutsche Reich brauchte Lazarettkapazitäten für die Verwundeten des Krieges aber auch Unterkünfte für deutschstämmige Übersiedler aus den Ostgebieten. Die Nazis nutzten die organisierte Tötung im T4 Projekt aber auch dazu, Erfahrungen zur massenhaften Vernichtung der Juden zu sammeln, so übernahmen nicht wenige Führungskräfte der 5 Reichsanstalten später leitende Funktionen in den Vernichtungslagern“, so Norbert Aas in seinem Referat.

Der Weg in die Gaskammer von Schloss Hartheim
War das Urteil über einen Kranken einmal gefällt – weitgehend auch aus wirtschaftlichen Überlegungen, wie die Meldebögen offenbarten – wurden die Betroffenen verlegt und schließlich nach Hartheim bei Linz gebracht. Auch den letzten Weg der Opfer stellte Norbert Aas anhand vieler Bilder anschaulich und in bedrückender Weise dar. In Hartheim endete ihr Leben in der Gaskammer und den Verbrennungsöfen des berüchtigten Schlosses. Die Vorgänge blieben der Bevölkerung nicht verborgen und das Plansoll war wohl erfüllt, vermutete Norbert Aas – und so änderte die NS-Regierung ihre Taktik. Behinderte und psychisch Kranke wurden nun in den Aufnahmeheimen mit Medikamenten vergiftet oder man ließ sie langsam verhungern. „Der Nachweis dieser Opfer ist schwer: Doch die Sterberaten in den Krankenhäusern schnellten in die Höhe“, erklärte Aas.
In der anschließenden Diskussion kam die ab August 1941 besonders durch Vernachlässigung praktizierte „dezentrale Euthanasie" zur Sprache. Der sogenannte „Hungerkost-Erlass" sowie die Kinder-„Euthanasie“ wurden thematisiert. Besonders interessant waren, für Referent und Besucher, die Berichte eines Zuhörers, dessen Onkel nahe dem Schloss Hartheim wohnte und über viele Vorgänge berichten konnte.
In seinem Schlusswort erinnerte AK-Sprecher Rainer Pasta, dass der Massenmord an den Behinderten zum größten Teil in Vergessenheit geraten sei. „Daraus resultiert eine gefährliche Folge: Ein Verlust an Sensibilität gegenüber diesem Thema und gegenüber den Neonazis, die von der Wiederholung der Nazimorde phantasieren. Auch in der heutigen deutschen Gesellschaft erleiden viele Behinderte – und zunehmend auch die dementen Alten - die Behandlung eines Menschen zweiter Klasse und gelten als wirtschaftliche Last“, so Pasta. Behinderte Menschen gehörten zu den Minderheiten, gegen die sich rechtsextremistische und vorurteilsmotivierte Gewalt richte. Anhand einiger Schlagzeilen belegte Pasta diese These und zitierte u.a. Schmähreden wie "Dachau muss euch vergessen haben" oder "Wenn Hitler da wäre, wärt ihr schon längst im Gas".
Er erinnerte aber auch an die Tatsache, dass „die Volksseele schnell hoch kocht, wenn irgendwo eine neue Einrichtung für geistig Behinderte errichtet werden soll oder wie viele Proteste es gibt, wenn schwerbehinderte Kinder in den Regelschulen gemeinsam mit unseren „normalen“ Kindern unterrichtet werden sollen“. Schließlich forderte er die Zuhörer auf, hellhörig zu sein und einzuschreiten, wenn es wieder einmal Stammtischreden um „unwerters Leben“ gebe. Schließlich lud der AK Labertal die Zuhörer zur Informationsfahrt nach Schloss Hartheim Anfang April ein.