Stießen an auf 120 Jahre BayernSPD: v.li. Rainer Pasta (Sprecher AK Labertal), Heinz Uekermann (Vorsitzender UB Straubing), Brigitte Wessely (stellv. OV-Vorsitzende Geiselhöring), Referent Bastian Vergon sowie Mariele Auer, Bezirksgeschäftsführer a.D. Martin Auer und Helmut Maier (alle SPD Schierling)
Im Rahmen der Ausstellungsreihe „Sudetendeutsche Sozialdemokraten“, die vom 7.-20. Mai in Geiselhöring gastiert, feierte die SPD vergangenen Mittwoch im Gasthaus Wild in Geiselhöring das 120-Jahre-Jubiläum der BayernSPD. Die engen Kontakte der SPD in Bayern zu den Sudetendeutsche Sozialdemokraten vor und während des 2. Weltkrieges sowie die Einflüsse der vertriebenen Sozialdemokraten aus dem Sudetenland auf die BayernSPD beim Neuanfang nach 1945, waren das Thema des Festvortrages von Bastian Vergnon aus Regensburg, der zu diesem Themenfeld an der Universität Regensburg derzeit promiviert.
„Heimat ist ein spezifisch deutsches Wort“, so Bastian Vergon zu Beginn seines Vortrages. „Heimat beinhaltet die soziale Fürsorge der Gesellschaft und den territorialen Anspruch – beides hatten die Sudetendeutschen Sozialdemokraten, und alle anderen Vertriebenen nach dem Krieg verloren“, so Vergon weiter. “Für viele bot die Arbeiterbewegung bzw. die Sozialdemokratie in Bayern eine neue politische Heimat“. Die SPD konnte sich nach ihrer Gründung in den 1860er Jahren vor allem in Bayern – schon in der Kaiserzeit wurden (Sozialisten)Gesetze in Bayern besonders liberal ausgelegt – etablieren. Insbesondere die industriellen Zentren wie München und Nürnberg waren bis zum Ende der Weimarer Republik sozialdemokratisch geprägt. Demgegenüber stand die faktische Nichtexistenz auf dem flachen Land. Bastian Vergon überschrieb dieses Kapitel seines Vortrages mit „Die SPD als „Partei ohne Land im landwirtschaftlich geprägten Bayern“. Die sudetendeutsche Sozialdemokratie hingegen beschrieb er als „Partei ohne Volk“, nach dem die altösterreichische Sozialdemokratie in den hochindustrialisierten Sudetenländern nach Abspaltung der tschechischen Sozialdemokratie 1911 und dem Wahldebakel 1935 – die überwältigende Mehrheit der Sudetendeutschen schlossen sich den Nationalsozialisten an – an Substanz verlor. „Seit 1929 in der Regierung in Prag sitzend, waren die Sozialdemokraten federführend im Kampf gegen die Nationalsozialisten, pflegten die gemeinsamen Wurzeln, unterstützten trotz Wirtschaftskrise den Widerstand im Reich und halfen den GenossInnen im Exil – wurden aber zwischen nationalen und sozialen Zielen zerrieben“, so der Festredner zur Rolle der sudetendeutschen Sozialdemokraten während des Krieges. Über die Kontakte im Exil, hier vor allem die „Kleine Internationale in Schweden“, kam es auch zur Zusammenarbeit des sudetendeutschen Sozialdemokraten Ernst Paul mit dem im Widerstand aktiven Willy Brandt.
Die Vertreibung war für alle Betroffenen eine Katastrophe – besonders aber für jene, die im Kampf gegen Hitler Freiheit und Leben riskiert hatten - die sudetendeutschen Sozialdemokraten sollten als Antifaschisten eigentlich von Vertreibung ausgenommen sein. Nach dem es bei den wilden Vertreibungen keine Unterscheidung gab, konnten die sudetendeutschen Sozialdemokraten in der „Aktion Ullmann“ aber eine separate Aussiedlungsaktion mit eigener Organisation mit Zentrale in Prag, eigener Logistik und Transporten durchsetzen. Der Aufbau einer Zentrale in München unter Mitwirkung der bayerischen SPD sorgte für die geordnete Aufteilung auf die amerikanische Zone und zur geschlossenen Unterbringung der sogenannten Ullmann-Transporte. Beim Versuch die eigenen Leute in Ministerien und Organisationen unterzubringen mussten die Sozialdemokraten aber schnell feststellen, dass die nationalsozialistischen Seilschaften auch nach Kriegsende bestens funktionierten.
„Unsere politische Heimat konnte man uns nicht nehmen“ – unter diesem Motto gelang die Integration der sudetendeutschen Sozialdemokraten in die bayerische SPD. Der schnelle Wiederaufbau der SPD glückte über das Zusammenspiel der alten Funktionäre aus der Weimarer Zeit mit den Funktionären aus dem Exil, den Vorbereitungen der Sudetendeutschen Sozialdemokraten während des Krieges und der Organisation Ullmann mit regelmäßigen Konferenzen und der Zeitung Die Brücke. Mit Richard Reitzner wurde ein sudetendeutscher Sozialdemokrat 1948/1949 stellvertretender Landesvorsitzender der BayernSPD und Flüchtlingssprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Auf landespolitischer Ebene wurde Volkmar Gabert zur dominierenden Figur. Gefördert durch Wilhelm Hoegner und Waldemar von Knoeringen wurde er in den 1960er Jahren Landes- und Landtagsfraktionsvorsitzender - die SPD erreichte unter ihm mit 35% ihre besten Ergebnisse bei Landtagswahlen in Bayern. Zwischen 1950 und 1970 gab es immer mehr als zehn Landtagsabgeordnete mit sudetendeutschem Hintergrund, wobei die Schwerpunkte in Mittelfranken, Oberbayern und Schwaben lagen - in und im Umfeld der Industriestandorte und größeren Städte auch in Niederbayern/Oberpfalz.
Besonders auf kommunalpolitischer Ebene belebten die sudetendeutschen Sozialdemokraten die SPD in Bayern. Der Mitgliederaufschwung und zahlreiche Neugründungen von Ortsvereinen durch Sudetendeutsche auf dem flachen Land brachte einen deutlichen Aufschwung – auch in unserer Region. Es folgte aber der unvermeidbare Niedergang mit dem Wegzug der Sudetendeutschen in die Industrieregionen und die größeren Städte. Hervorzuheben sind die Sudetendeutschen Hans-Jochen in München, Hans Breuer und Willi Reiland als Oberbürgermeister in Augsburg und Aschaffenburg. Die Vertriebenengemeinden wurden zu Hochburgen der bayerischen SPD.
Eine starke Rolle spielten dabei die Ortsgruppen der Seliger-Gemeinde mit größeren Gruppen in Regensburg und München, aber auch in Passau, Landshut und Straubing. Sie alle waren stark mit der lokalen SPD verbunden, so dass Bastian Vergnon während seiner Arbeit „Sudetendeutschen in allen Ritzen der bayerischen SPD“ ausmachen konnte.
Einbruch ab 1970
Der bundespolitische Einfluss schwindet nach dem Tod von Richard Reitzner 1962. Es gab zwar zwei weitere Bundestagsabgeordnete mit sudetendeutschem Hintergrund (Fritz Böhm, Rudolf Müller), aber keine ausgewiesenen Flüchtlingspolitiker mehr.
Einen direkten Bruch zwischen bayerischer SPD und sudetendeutschen Sozialdemokraten konnte Vergon bei seinen Recherchen nicht erkennen. Aber die Umbrüche in den 1970er Jahren nicht ohne Folgen. 1970 waren im Landtag nur noch drei und 1974 nur noch zwei Landtagsabgeordnete mit sudetendeutschem Hintergrund vertreten. Die Distanzierung der SPD von Flüchtlingsverbänden und dem einsetzenden Ruck der CSU hin zu den Vertriebenenverbänden als Folge der neuen Ostpolitik durch Willy Brandt sind signifikant. Die sudetendeutschen Sozialdemokraten lehnten die neue Ostpolitik nicht grundsätzlich ab, fühlten sich aber als Betroffene übergangen. Der Generationen- und Ideologiewechsel durch die 68er Generation, begleitet von der Tatsache, dass viele bekannte Funktionäre in politischer Rente oder gestorben waren, tat sein Übriges. Hinzu kam, dass viele Ortsgruppen der Seliger-Gemeinde ausstarben, lokal gab es aber nach wie vor starke Verbindungen zur SPD. Die Sudetendeutschen Sozialdemokraten waren jedoch kein Faktor mehr in der bayerischen SPD.