v.l.: stellv. Vorsitzende Madlen Melzer, Referent Rainer Ehm, Vorsitzender Armin Buchner, Ak-Sprecher Rainer Pasta Im Rahmen Historischer Themennachmittage bietet der SPD-Arbeitskreis Labertal zusammen mit seinen Ortsvereinen in diesem Jahr verschiedene Veranstaltungen über historisch bedeutsame Stätten und Ereignisse in der Region des Großen und Kleinen Labertals an.
Auftaktveranstaltung war am Sonntag, 24. Januar 2010 um 15.00 Uhr im kleinen Aumeier-Saal in Schierling der Historische Themennachmittag "Muna Schierling" des SPD-Ortsvereins Schierling mit Schwerpunkt "Kriegsende in der Muna 1945" anlässlich der Schließung des Munitionshauptdepots zum Jahresanfang und des 65-jährigen Jahrestages des Kriegsendes in der Region.
Rettung von Schierling 1945: Viele Zufälle, die ein Wunder waren!
Schierling. Es war ein spannender Vortrag des Historikers Rainer Ehm aus Regensburg am Sonntagnachmittag im kleinen Aumeiersaal. Knapp 40 Besucherinnen und Besucher von Langquaid bis Geiselhöring lauschten gespannt den Ausführungen des Historikers, der in Schierling kein Unbekannter ist. Rainer Ehm, beruflich Kurator des Regensburger Schifffahrtmuseums und ehrenamtlich Landesgeschäftsführer des Arbeitskreises verfolgter Sozialdemokraten (AvS) in der BayernSPD, hatte schon in den 80er Jahren zusammen mit dem Bayerischen Rundfunk zahlreiche Zeitzeugen, unter ihnen Altlandrat und Altbürgermeister Josef Wallner und Marktrat Ludwig Häring zu den Ereignissen in den letzten Kriegswochen und zur kampflosen Übergabe der Luftmunitionsanstalt, so die offizielle Bezeichnung, befragt. Mehrere Vorträge in den 90er Jahren kamen hinzu, ebenso aber auch neue Erkenntnisse beim Durchstöbern diverser Militärarchive. Zuvor gab Marktrat und Armin Buchner mit einer kurzen Begrüßungsrede den Startschuss zu mehreren historischen Themennachmittagen der SPD-Ortsvereine des Arbeitskreises Großes und Kleines Labertal in den kommenden Monaten. Neben zahlreichen ehemaligen MUNA-Beschäftigten begrüßte Armin Buchner auch zwei „Nordlichter“ aus Hamburg, Dipl. Ing. Jan Ritter und dessen Gattin. Ritter hatte sich schon am Vortag bei der Besichtigung des ehemaligen Munitionsdepots als ausgewiesener Experte, dessen Steckenpferd bundesweit die Geschichte und die Organisation der stillgelegten wie der noch im Betrieb befindlichen Munitionsdepots in ganz Deutschland sind. Schierling hatte noch in seiner Sammlung gefehlt. Die Nachnutzung der MUNA sei eine große Herausforderung für die beiden Marktgemeinden, betonte Buchner. Aber zum Ausblick gehöre auch der Rückblick auf die Geschehnisse vor 65 Jahren.
In diesem Rückblick sprach Rainer Ehm gleich zu Beginn seiner Ausführungen von einer „unglaublichen Verkettung von Zufällen“, die im gesamten Raum um das Depot herum eine massive Katastrophe verhindert haben. Man könne auch mit Blick auf den Schierlinger Gelübdetag durchaus von einem Wunder sprechen.
Ursprünglich war die Luftmunitionsanstalt 2/VII seit 1937 ein „Konfektionierungsbetrieb“, in dem aus vielen Komponenten konventionelle Bomben und Granaten zusammengebaut und einsatzfähig gemacht wurden. Erst im Sommer 1944 seien die ersten großen chemischen Kampfstoffe aus aufgelösten Depots wegen der vorrückenden Roten Armee in der MUNA angeliefert worden. Alle kriegsführenden Länder des 2. Weltkrieges hätten über große chemische Kampfstofflager verfügt. Die Erfahrungen des 1. Weltkrieges hätten jedoch die Verantwortlichen auf beiden Seiten von einem Einsatz abgehalten. Außerdem wäre die Reichswehr gar nicht mehr in der Lage gewesen, diese Kampfstoffe großflächig noch einzusetzen, so Rainer Ehm, von Verzweiflungshandlungen oder einer Strategie der verbrannten Erde einmal abgesehen. Andererseits ordnete ein Führerbefehl an, dass die Giftgas-Bestände auf keinen Fall in die Hände der vorrückenden Alliierten fallen dürften: Deshalb seit Herbst 1944 die massive Anlieferung von chemischen Kampfstoffen im Munitionsdepot und die Frage ihrer Zukunft in den letzten Kriegswochen, nämlich Abtransport oder Vernichtung an Ort und Stelle oder Verteidigung mit den dann unvermeidlichen Kampfhandlungen und dem großen Zerstörungsrisiko.
Warum die Lage für die Region trotzdem so kritisch und gefährlich war, schilderte Rainer Ehm ausführlich anhand der militärischen Vorgänge im April 1944, als eine ganze Reihe von zentralen Logistikeinrichtungen des NS-Regimes und der Reichswehr von Berlin in den Raum Regensburg verlagert worden waren, unter ihnen ein Teil der Reichspost nach Kelheim und der Teil B der Nachrichtenzentrale. Auf Schloss Wörth hätten hohe HJ-Führer Zuflucht gesucht und dort noch Endkampf-Strategien entworfen. Von Schloss Haus aus zwischen Sanding und Thalmassing aus habe der Gauleiter und Reichsverteidigungskommissar Ruckdeschel versucht, eine Verteidigungslinie zu organisieren. Der Stab des 82. Korps der Wehrmacht habe sich am 23. April noch in Rohr befunden, ehe es sich in den folgenden Tagen über Sallach und Geiselhöring nach Landshut und nachfolgend nach Lofer zurückgezogen habe. Ein Reststab sei in Sallach verblieben. Der kommandierende General sei ein sogenannter dreihundertprozentiger Durchhaltekrieger gewesen. Die komplizierte militärische Lage sei noch schwieriger geworden durch die Präsenz des 17. SS-Korps, berüchtigt durch das Massaker im französischen Oradour, zu dessen kampffähigen Truppen die „Nibelungen“-Division, bestehend aus vielen überzeugten Hitler-Jungen , gehörte. Die Grenze zwischen Heereskorps und SS-Korps sei der östliche MUNA-Zaun gewesen.
Der vierte Gefahrenfaktor neben SS-Korps und Heereskorps und Gauleitung sei der Kommandant des Munitionsdepots gewesen, der zu seiner Verteidigung einen doppelten Bombenring legen habe lassen und der eine Sprengung der MUNA in Betracht gezogen habe, schilderte Rainer Ehm. Der fünfte Gefahrenfaktor seien die Giftgastransporte per Bahn in Richtung Straubing gewesen, wo die bei Schierling lagernden Giftgasbehälter und -granaten auf rund 30 Schiffe umgeladen werden sollten. Einige Züge hätten ihr Ziel noch erreicht, ohne von Tieffliegern angegriffen zu werden. Auch die zwei Bombentreffer bei einem Luftangriff hätten gottlob keine Katastrophe ausgelöst. Weniger Glück hatte bei solchen Transporten eine Region in Mitteldeutschland gehabt, die großflächig verseucht worden sei. Und das sechste Risiko seien die anrückenden Amerikaner gewesen, die allerdings zur Eroberung von Regensburg eine Strategie gewählt hätten, die Kampfhandlungen im südlichen Teil vermieden habe. Auf Grund der großen Präsenz von Hardlinern und fanatischen „Endkämpfern“ in der Region wären eigentlich Kampfhandlungen mit der großen Zerstörungsgefahr zu erwarten gewesen.
Dass es dazu aber nicht gekommen sei, sondern die Einsicht gesiegt habe, das Depot kampflos den amerikanischen Truppen zu übergeben, schilderte Rainer Ehm im letzten Teil seines Vortrages. Die Möglichkeit sei die Ausflaggung einer „weißen Zone“ um das Depot herum gewesen, aus der sich alle Soldaten, der Volkssturm oder sonstige „Verteidiger“ zurückziehen mussten. Die Schwierigkeit für den beauftragten Offizier sei gewesen, den zuständigen Korps-Stab zu finden, um den entsprechenden Befehl zu erhalten. Dies sei glücklicherweise über den Rest-Stab bei Sallach erreicht worden. Rainer Ehm verlas den Original-Wortlaut des Befehls vor. Schließlich sei es dann doch dem als Parlamentär abgeordneten Offizier gelungen, bei Obertraubling die amerikanische Einheit zu finden und die kampflose Übergabe der „weißen Zone“ zu regeln, die dann am 29. April erfolgt sei. Über 10.000 Tonnen der Kampfstoffe von Senf- bis Tabungas seien in den folgenden Monaten von Schierling abtransportiert worden;, ein Teil befindet sich am Grund der Ostsee, ein anderer „ruht“ nach einer Irrfahrt nach St. Georgen und Traunreut in einem Bunkersystem bei Toblach in Südtirol. Die wie gebannt lauschenden Teilnehmer bedachten Rainer Ehm mit großem Beifall. Hartmut Gust schilderte anschließend die letzten Tage bis zum Einmarsch der amerikanischen Truppen, die er als achtjähriger Bub erlebt habe. Hans-Peter Stöckl verwies in seinem Beitrag auf die Rolle von Pfarrer Laubmeier bei der Rettungsaktion. Armin Buchner und die stellvertretende Ortsvorsitzende Madlen Melzer sowie der Sprecher des SPD-Arbeitskreises Labertal, Rainer Pasta, bedankten sich beim Referenten mit einem Schierlinger Geschenkkorb.