„Unter Zivilcourage versteht man die frei verantwortliche Tat“ - SPD-AK Labertal präsentierte den Kleinen Widerstand in Geiselhöring
Mehr als 12.000 Verfahren gab es allein in Südbayern gegen mutige Bürgerinnen und Bürger, die während der NS-Zeit wegen kritischer Äußerungen gegen den Nationalsozialismus oder das Abhören von Fremdsendern beschuldigt wurden. Am vergangenen Sonntag stellte Referent Albert Eichmeier aus Oberroning in Geiselhöring die Verfahren gegen den Bauern Ludwig Vilsmeier, den Maschinenschlosser Edmund Lermer, den Schneidermeister und Kinovorführer Hanns Malterer und Benefiziat Wolfgang Grassl vor. Im gut gefüllten Saal des Gasthauses Wild verfolgten, neben interessierten Ortsansässigen, die Vertreter der SPD-Ortsvereine Schierling und Langquaid sowie des Aktionsbündnisses „Geiselhöring bleibt BUNT“ den detaillierten Vortrag.
SPD-Ortsvorsitzender Johannes Faden erinnerte in seinem Grußwort an die Pflicht jedes Einzelnen, die Demokratie jederzeit zu verteidigen und bekräftigte, dass die Labertaler SPD und das Aktionsbündnis „Geiselhöring bleibt BUNT“ diese Aufgabe gewissenhaft wahrnähmen. Faden erklärte die Wichtigkeit der Dokumentation des Kleinen Widerstandes für die Kultur- und Sozialgeschichte - auch in Geiselhöring. Der Ortsvorsitzende präsentierte stolz die Traditionsfahne der Geiselhöringer SPD aus dem Jahre 1923, die „nur durch den Mut der Mitglieder der Vernichtung durch das NS-Regime entgangen ist“.
Referent Albert Eichmeier, Realschullehrer aus Oberroning, verstand es trotz – oder gerade wegen - der trockenen Aktenlage den Terror des Nazi-Regimes, der auch vor Geiselhöring nicht halt machte, eindringlich darzustellen. Gebannt verfolgten die Zuhörer die Erläuterungen zu den ausgewählten Verfahren gegen – gerade den Älteren – noch gut bekannten Mitbürgern. So manchem lief es kalt dem Rücken hinunter, als die Methode offen gelegt wurde, mit der die Menschen bereits 1933 eingeschüchtert und mundtot gemacht wurden. Eichmeier stellte klar, dass nur der Mut vieler die Katastrophe verhindern hätte können. Erschreckend war die Erkenntnis, dass nicht nur blanker Fanatismus, sondern auch ganz persönliche Rachegelüste zu Denunziation und Verfolgung führten. „Würde eine gewählte rechtsradikale Regierung heute entsprechende Gesetze erlassen, würden deutsche Beamte diese Gesetze uneingeschränkt ausführen und die Methode Terror würde wieder ihre Nutznießer finden“, zeigte sich Eichmeier überzeugt und erklärte: „Unter Zivilcourage versteht man die frei verantwortliche Tat, dazu ist jeder aufgerufen – heute wie damals“. Bevor er zu den einzelnen Beispielen kam, erläuterte Referent Eichmeier die allgemeine Aktenlage und die Tatsache, dass zwar in den Gemeinden vor Ort nicht mehr viele Akten vorhanden seien, aber in den Staats-Archiven in Landshut, vor allem aber in München (für Niederbayern) und Nürnberg (Oberpfalz) Tausende von Akten für alle interessierten Bürger und Bürgerinnen einsehbar seien.
Nochmals glimpflich davon gekommen
Anhand des Prozesses gegen den Bauern Ludwig Vilsmeier erläuterte Albert Eichmeier die Mechanismen des Terror-Regimes. Vilsmeier wurde von einem jungen, übereifrigen SA-Mann angezeigt, weil er keine Postkarten zur Unterstützung der Reichswettkämpfe der SA in Berlin kaufen wollte und sich „beleidigend“ gegenüber dem Führer gezeigt hatte. Außerdem weigerte sich Vilsmeier eine Hackenkreuzfahne zu kaufen und sein Anwesen an Feiertagen entsprechend zu schmücken - eine entsprechend negative Beurteilung stellte der Kreisleiter dem Landwirt aus. Es wurde deutlich, dass alle betroffenen Dienststellen ihren Eifer dokumentieren wollten und sich so an die nächst übergeordnete Stelle wandten. Über das Bezirksamt Mallersdorf, die Gestapo-Stellen München und Regensburg kam der Vorfall bis nach Berlin. Hier wurde die Strafverfolgung durch das Justizministerium angeordnet. Im folgenden Strafverfahren beim Sondergericht in München wurde Vilsmeier zu 2 Monaten Gefängnis und den Kosten des Verfahrens verurteilt. Die Tatsache, dass die Landwirtschaft besonders wichtig für die Versorgung der Bevölkerung war und dem Wohlwollen eines Geiselhöringer Polizeibeamten, der dem Bauern für das Gnadengesuch ein positives Zeugnis ausstellte, hatte er es zu verdanken, dass die Gefängnisstrafe in eine Geldstrafe umgewandelt wurde. Vilsmeier bekam jedoch einen Eintrag in seine Akte wegen Verstoßes gegen das Heimtückegesetz und musste das schriftliche Versprechen ablegen, sich „in Zukunft tadelfrei“ zu führen. Die 200 RM (entspricht etwa einem Monatslohn) Strafe durfte er nicht in Gänze bezahlen, sondern musste monatlich 20 RM persönlich in München in die Gerichtskasse einzahlen. Ähnlich glimpflich kamen der Maschinenschlosser Edmund Lermer, der Schneidermeister und Kinovorführer Hanns Malterer und Benefiziat Wolfgang Grassl davon. Im Fall Lermer widersprachen sich die Zeugen, Malterer wurde erkennbar aus „verschmähter Liebe“ denunziert, Graßl hatte als katholischer Pfarrer besondere Privilegien, die er nutzen konnte - die Verfahren wurden jeweils eingestellt. „Der Stress und die Probleme, die ein Ermittlungsverfahren für die Betroffenen brachte, dürfen nicht gering geschätzt werden“, so Albert Eichmeier – „und man konnte ja nie wissen, wie die ganze Sache ausgeht!“
KZ-Häftling Nr. 6186
Ein weiterer, sehr tragischer Fall, konnte nur oberflächlich angerissen werden, weil die in Geiselhöring lebenden Nachkommen selbst nach 74 Jahren nicht wollten, dass der Name des Betroffene genannt wurde. Bereits im Mai 1933 wurde das Mitglied der Kommunistischen Partei in Schutzhaft genommen und für vier Wochen ins KZ Dachau eingeliefert. Im Juni 1934 bekam er erneut rund 17 Monate KZ-Haft aufgebrummt. Im Mai 1937 wurde er zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt, weil er sich nicht daran hielt, über die Umstände seiner KZ-Haft zu schweigen. Im Wirtshaus erzählte er Weihnachten 1936, dass er zusammen mit den anderen Häftlingen den Heiligen Abend 1935 bei –20 Grad im Hemd auf dem Exerzierplatz in Dachau verbracht hatte. Außerdem bezeichnete er Franzosen und Russen als „Brüder“ – ein Vergehen gegen das Heimtücke-Gesetz, obwohl das Deutsche Reich zu dieser Zeit von einem Nichtangriffspakt mit den Russen, sowohl wirtschaftlich, als auch militärisch, profitierte. Zur Zuchthausstrafe kamen 3 Jahre Ehrverlust und deshalb die Aberkennung des Sorgerechts für seine fünf Kinder durch das Amtsgericht Mallersdorf – daran zerbrach Häftling Nr. 6186 endgültig und kam so am gleichen Tag der Verkündung des Urteils in der JVA Straubing 1937 zu Tode. Er wurde nach Kriegsende als „Verfolgter des Naziregimes“ offiziell anerkannt.
„Der ‚Kleine Widerstand’ in Geiselhöring erreicht nie die Berühmtheit von Dietrich Bonhoeffer, Claus von Stauffenberg oder Sophie Scholl. Die einfachen Bauern und Arbeiter, die Dorfpfarrer und die mutigen Bürger aus der eigenen Gemeinde, aus der eigenen Region, die versucht haben, dem Wahnsinn und dem Bösen zu widerstehen, kennt eigentlich nie-mand“, so AK Sprecher Rainer Pasta. Der SPD- Arbeitskreis Labertal würdigt mit der Vortragsreihe „Der Kleine Widerstand im Labertal“ gerade diese mutigen Bürger aus der Region. Albert Eichmeier bezeichnete die vorgestellten Unterlagen und Urteile für eine Kommune wie Geiselhöring, als ungeheueren Schatz, den es in kulturhistorischer, wie in sozialgeschichtlicher Hinsicht, zu würdigen gilt. Nach dem Vortrag meldete sich ein Besucher und berichtete über ein weiteres Verfahren gegen einen seiner Angehörigen, das bisher unbekannt war. Die Vortragsreihe wird in Rottenburg, Schierling, Neufahrn und Straubing fortgesetzt.