Historischer Themennachmittag zum Kleinen Widerstand
Rottenburger zeigten Mut und Zivilcourage - Späte Rehabilitation nach mehr als 65 Jahren
Der SPD-Arbeitskreis Labertal würdigt mit der Vortragsreihe „Der Kleine Widerstand im Labertal“ mutige Bürger aus der Region, die während der NS-Zeit wegen kritischer Äußerungen gegen den Nationalsozialismus oder etwa das Abhören von Fremdsendern ihre Gegnerschaft zum Nationalsozialismus zum Ausdruck brachten. Sie wurden denunziert, angeklagt und viele von ihnen wurden verurteilt – für manche bedeutete das sogar den Tod. Die Fälle von Lorenz Rauch aus Ramersdorf und Nikolaus Huber aus Niedereulenbach wurden im Gasthaus Huber in Rottenburg detailliert vorgestellt und bewertet. In beiden Fällen waren Angehörige anwesend, die gespannt den Ausführungen des Referenten Albert Eichmeier lauschten, ihre eigenen Erkenntnisse einbrachten und mit dem guten Gefühl nach Hause gingen, dass ihre Vorfahren nicht nur „Zuchthäusler“ waren, sondern durch ihren Mut und ihre Zivilcourage in Bedrängnis geraten sind. Eine späte, aber wichtige Rehabilitation nach mehr als 65 Jahren.
In seiner Begrüßung erinnert SPD-Ortsvorsitzender Franz Gumplinger daran, dass wir heute nach 65 Jahren Frieden, Freiheit und Wohlstand zu den glücklichsten Menschen auf dieser Welt gehören – „nicht überall auf der Welt geht es den Menschen gut, nicht überall herrscht Frieden, nicht überall werden Presse- und Meinungsfreiheit garantiert.“ Doch Gumplinger erinnerte auch daran, „dass es auch bei uns nicht immer so war und dass es auch nicht selbstverständlich ist, dass es so bleibt!“ Neben zahlreichen Zuhörern konnte Gumplinger auch Interessierte aus Pfeffenhausen, Geiselhöring, Mallersdorf-Pfaffenberg, Langquaid und Schierling begrüßen.
Einzigartige Aktenlage für den Altlandkreis Rottenburg
Bevor er zu den einzelnen Beispielen kam, erläuterte Referent Eichmeier die allgemeine Aktenlage und die Tatsache, dass zwar in den Gemeinden vor Ort nicht mehr viele Akten vorhanden seien, aber in den Staats-Archiven in Landshut, vor allem aber in München (für Niederbayern) und Nürnberg (Oberpfalz) Tausende von Akten für alle interessierten Bürger und Bürgerinnen einsehbar seien. Eichmeier bezeichnete die vorgestellten Unterlagen und Urteile als ungeheueren Schatz, den es in kulturhistorischer, wie in sozialgeschichtlicher Hinsicht, zu würdigen gilt. Gerade für den Altlandkreis Rottenburg sei die Aktenlage so umfangreich und detailliert wie selten. Neben den Strafakten seien auch weitreichende Entnazifizierungs- und Wiedergutmachungsfälle dokumentiert, so Eichmeier. Auch das wohl einzige Exemplar der letzten Ausgabe der NS-Zeitung „Landshuter Kurier“ vom 1. Mai 1945 ist in den Rottenburger Unterlagen gefunden worden und wurde den Zuhörern in Kopie überlassen. Auch die bayernweit vernichteten Stimmungsberichte, die die einzelnen Polizeistationen monatliche verfassten, sind für Rottenburg für die Jahre 1938/39 komplett erhalten. Besonders interessant schienen den Behörden die Hopfenzupfer, „der Abschaum der menschlichen Gesellschaft“, wie ein Polizeibericht ausweist.
Dachau war auch der Landbevölkerung bekannt
Insbesondere auch die seltenen „Schutzhaftakten“ aus dem Altlandkreis Rottenburg liefern eine unschätzbare Einsicht in den Übergang von der Weimarer Republik in die NS-Zeit in der Region. „Bereits im Mai/Juni 1933 wurden die Kreis- und Bezirksräte sowie die aktiven Mitglieder der Bayerischen Volkspartei, der SPD und der KPD in Schutzhaft genommen - und letztere vorwiegend nach Dachau verbracht“, berichtete Albert Eichmeier. „Viele wurden gefoltert und kamen als gebrochene Menschen wieder frei. Es war eine geplante Aktion, die Parteimitglieder einige Wochen zu isolieren, um ihre Büros zu stürmen und Organisationen zu zerschlagen, nachdem die Parteien im Mai 1933 verboten wurden.“, referierte Eichmeier. Viele Kommunalpolitiker verloren anschließend ihre Arbeit und Existenzgrundlage. „Doch allein die SPD wehrte sich bis zum Kriegsbeginn 1939 gegen ihre Auflösung und organisierte aus dem Nachbarland Tschechien eine rege Gegenbewegung“, wusste Albert Eichmeier zu berichten. Auch die wohl bayernweit einzige Originalabschrift des Befehls des Berliner Polizeichefs Heidrich in dieser Sache ist in den Rottenburger Akten vorhanden – darauf handschriftlich vermerkt, wer in Rotenburg betroffen ist – u.a. der Kreisrat der Bayerischen Volkspartei, der Baumeister Josef Stapfer oder der Zimmermann Georg Schmeizl und seine Frau Kreszenz, „die wegen ihrer linken politischen Kontakte vor Übergriffen und körperlicher Gewalt (Anmerkung: durch die SA) zum eigenen Schutz“ interniert wurden. „Deutlich wird durch diesen Fall, dass das Straf- und spätere Konzentrationslager in Dachau der Landbevölkerung doch bereits von Anfang an bewusst war“, stellte der Referent klar. Alle Einweisungen und Entlassungen wurden der Gemeinde, dem Landratsamt, der Polizei und den Amtgerichten gemeldet. Eichmeier erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass eigentlich alle Richter aus der Weimarer Republik nun aufgrund neuer Gesetze (z.B. die Reichstagsbrandverordnung) widerspruchslos entsprechende Einweisungsbefehle unterschrieben Die selben Richter, die dann zu Ende des Krieges Verfahren verschleppten – und dabei ungewollt viele Menschenleben retteten – um auch nach der NS-Zeit ihre Posten zu sichern, was ja dann auch so geschehen ist.
Für den Landkreis Rottenburg sind ungefähr 20 Verfahren vor dem Sondergericht in München wegen unterschiedlichster Vergehen, vor allem aber gegen das Heimtückegesetz und die Rundfunkverordnung, bekannt. Besonders hervorgetan hat sich in diesen Fällen der Kreisleiter für Rottenburg und Mallersdorf, der mit Eifer die Anzeigen an das besonders scharfe Gestapobüro Regensburg (wenn auch nicht zuständig) weiterleitete, die Angezeigten entsprechend beurteilte und damit in höchste Gefahr brachte.
Ein Bauernbündler ganz im Sinne eines Karl Gandorfer
So auch den Bauern Lorenz Rauch aus Ramersdorf, Gemeinde Oberhatzkofen, der in seinem Prozess am 26. Juni 1944 wegen Abhörens des Schweizer Senders Beromünster z.T. in Gegenwart des polnischen Zivilarbeiters Roman Palkow zu 2 Jahren und 3 Monaten Zuchthaus und 2 Jahre Ehrverlust wegen Verstoß gegen §1 und §2 der Rundfunkverordnung verurteilt wurde. Der Pole Roman Palkow wurde im Januar 1944 festgenommen und in das KZ Flossenbürg verbracht, weil er ausländische Rundfunknachrichten unter seinen Landsleuten verbreitete – dort verliert sich seine Spur für immer. Bei den Verhören wurde bekannt, dass er zusammen mit dem Bauern auf dessen Hof er arbeitete – und wie einige andere verurteilte Rottenburger auch - den Fremdsender hörte. Robert Rauch, geb. am 4. Dezember 1891, verheiratet, 4 Kinder und in der Tradition eines Karl Gandorfer dem linken Flügel des Bauernbundes angehörend und damit überzeugter Gegner des NS-Regimes, war im 1. Weltkrieg mehrfach ausgezeichnet worden. Er hatte, so die Aussage seines Enkels während der Veranstaltung, noch versucht den Sohn und seinen Knecht vor der Einberufung zu bewahren, in dem er sie aufforderte sich im nahen Wald zu verstecken. Die vernichtende Beurteilung des Kreisleiters und die erzwungenen Aussagen seiner Schwester Johanna, die bei den Verhören durch die Gestapo genötigt wurde „Unwahres“ auszusagen, ließen ihm keine Chance. Johanna Rauch, geb. am 2. August 1901, beging am 21. Mai 1944 Selbstmord, nachdem sie von der Gestapo verhört wurde. Lorenz Rauch kam bei Kriegsende frei und wurde 1945 von der amerikanischen Militärregierung wegen seiner kritischen Haltung zu Adolf Hitler in Oberhatzkofen als BGM eingesetzt
Doch das Glück war nur ein Trugbild
Beim „Historischen Themennachmittag“ in Langquaid war Josef Huber aus Niedereulenbach anwesend und wies den Heimatforscher Albert Eichmeier auf den Fall seines Vaters Nikolaus Huber hin. Nach Akteneinsicht hat Eichmeier festgestellt, dass der Fall Nikolaus Huber einer der interessantesten und wichtigsten im Landkreis Rottenburg sei. Fast auf den Tag genau vor 68 Jahren, am 15. Oktober 1943 verurteilte das Oberlandesgericht in München, das höchstes bayerisches Gericht seiner Zeit, Nikolaus Huber, geboren am 24. November 1902 in Niedereulenbach, verheiratet, Landwirt und Fleischbeschauer in Niedereulenbach, wegen Wehrkraftzersetzung zu 4 Jahre Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte für 3 Jahre. Huber hatte „durch Fleiß und gutem Wirtschaften seinen Hof von 5 auf 18 Tagwerk vergrößert“, er hatte drei Söhne im Alter von 5, 8 und 11 Jahren und war als „unentbehrlicher Landwirt und Fleischbeschauer“ UK - unabkömmlich – gestellt. Nikolaus Huber kam weit herum in der Region und wusste um die Stimmung in der Bauernschaft und nahm wohl auch kein Blatt vor den Mund. Bereits zwei Jahre vor dem beschriebenen Verfahren soll er Hitler beim Hopfenzupfen als „Zigeuner“ bezeichnet haben. Zwei Zeuginnen erinnerten sich 1943 daran und auf Anordnung des Reichsministers der Justiz und dem Volksgerichtshof in Berlin wurde Anordnung zur Verfolgung auch dieser Tat gegen das Heimtückegesetz gemacht. Zum Verhängnis wurden ihm aber zwei anonyme Briefe, die er an den Lehrer und Kreisschulungsredner der NSDAP aus Laaberberg schickte. Darin griff er diesen persönlich an und prophezeite ein baldiges Ende des Krieges. Er kritisierte den Heldenkult als „Kasperltheater“ und verurteilte die Gottlosigkeit der Nazis. Schließlich ergriff er noch Partei für die Juden und bezeichnete die Demokratie als „Retter der Freiheit“. Doch was brachte Nikolaus Huber dazu, sich mit den Briefen – auch wenn sie anonym waren – derart in Gefahr zu bringen? Laut Aussage seines Sohnes Josef – damals 8 Jahre alt – brachte den überzeugten Nazigegner die Versprechungen des Lehrers zur Weißglut, der den intelligenten 11jährigen Bruder mit dem nationalsozialistischen Gedankengut infizierte und unbedingt auf eine NS-Eliteschule bringen wollte. Damit brachte der „Popagander“ Unfrieden und Zwietracht in die Familie, die die Brüder bis heute ins hohe Alter entzweit.
Zuerst hatte die Polizei einen anderen Bauern aus Niedereulenbach verdächtigt, aufgrund erhobener Schriftproben aber wurde Nikolaus Huber überführt. Hätte er seine Briefe unterschrieben, so wäre ihm – zumindest ist sein Sohn heute davon überzeugt – gar nichts passiert. Zu sehr war der Lehrer dem Bruder gewogen und er hätte – so soll er der Familie gegenüber versichert haben – gar nichts unternommen, wenn er gewusst hätte, dass es der Huber war. Andererseits hatte dieser Glück, dass er nur „Schaden in geringem Umfang anrichtete, weil durch die Briefe nur einer Person seine Meinungen zugänglich machte“ – hätte er sich eines Flugblatts bedient, wie Sophie Scholl und ihre Gruppe, wäre er wohl gleich zum Tode verurteilt worden. Doch das Glück war nur ein Trugbild. Im Zuchthaus in Bernau am Chiemsee infizierte sich Nikolaus Huber mit Typhus und wurde – „wohl um das Sterben zu Hause zu erledigen“ – im August 1944 zu den Erntearbeiten beurlaubt. Joseph Huber war froh, als sein Vater nach Hause gekommen war, doch musste er miterleben, wie der Vater von den Leuten geschnitten wurde und es ihm immer schlechter ging, bis er nach einem Zusammenbruch ins Bezirkskrankenhaus in Rottenburg eingeliefert wurde. Im Bewusstsein nur eine Magen-Darm-Erkrankung zu haben, bat er per Brief und Telegramm mehrmals um Haftaufschub zur weiteren Behandlung. Doch zum Kräfteverfall kam noch Fieber dazu und am 17. November verstarb Nikolaus Huber im Krankenhaus Rottenburg. Nur dem aufopferungsvollen Einsatz der Mutter und der Hilfe eines Onkels verdankte die Familie ihr Überleben. Der Sohn Josef konnte keinen Beruf lernen und übernahm den Hof, der gescheite Bruder wurde Müller und brachte es später zu gewissem Ansehen – jedoch immer in der Gewissheit eine Chance verpasst zu haben.
Späte Rehabilitation nach mehr als 65 Jahren
Ihre Chance aber nutzten die Nachkommen von Lorenz Rauch und Nikolaus Huber, indem sie die Geschichte ihres Großvaters und Vaters beim „Historischen Themennachmittag“ des AK Labertal zur Sprache bringen ließen. „Schlimm ist, dass sie nie gelobt wurden, weil sie dagegen waren“, so Madlen Melzer in der anschließenden Diskussion. „Der ‚Kleine Widerstand’ in Rottenburg und der Region Labertal erreicht zwar nie die Berühmtheit von Dietrich Bonhoeffer, Claus von Stauffenberg oder Sophie Scholl. Die einfachen Bauern und Arbeiter, die Dorfpfarrer und die mutigen Bürger aus der eigenen Gemeinde, aus der eigenen Region, die versucht haben, dem Wahnsinn und dem Bösen zu widerstehen, kennt eigentlich niemand“, so AK Sprecher Rainer Pasta. Der SPD- Arbeitskreis Labertal würdigt mit der Vortragsreihe „Der Kleine Widerstand im Labertal“ gerade diese mutigen Bürger aus der Region. Leider gab es aber auch in Rottenburg Fälle, die nicht vorgestellt werden konnten, weil die Angehörigen dies aus unterschiedlichen Gründen nicht wollten. Der SPD-Arbeitskreis Labertal respektierte das und Albert Eichmeier verstieg sich in seinen Ausführungen nicht in Schuldzuweisungen oder Verurteilungen, sondern stellte die Aktenlage sachlich, aber nachdrücklich vor.
Die Vortragsreihe wird in Mallersdorf, Schierling, Neufahrn und Straubing fortgesetzt. Pasta forderte abschließend die vielen amtlichen und ehrenamtlichen Heimatforscher auf, sich auch mit diesem Aspekt der Heimatgeschichte zu befassen, „denn die Ausrede, dazu gibt es keine Akten mehr“, hat Referent Albert Eichmeier eindrucksvoll wiederlegt.