Die Referenten des Historischen Themennachmittags, Heike Wolter, Andreas Gröschl und Barbara Völkl (Mitte) mit Peter Stranninger, Landtagskandidat aus dem Nachbarstimmkreis Straubing-Bogen (li.), Adolf Biberger, Gemeinderat (2.v.li.), Rainer Pasta, Sprecher des AK Labertal (3.v.re.) sowie die SPD-Ortsvorsitzenden aus Neufahrn, Peter Forstner (2.v.re.) und Mallersdorf-Pfaffenberg, Martin Kreutz (re.)
Das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung
Historischer Themennachmittag des AK Labertal in Neufahrn zum KZ-Außenlager Obertraubling – „Kritisches Erinnern immunisiert gegenüber brauner Ideologie“
Seit seiner Gründung vor knapp fünf Jahren bemüht sich der SPD-Arbeitskreis Labertal um die jüngere Heimatgeschichte, insbesondere die Zeit des Nationalsozialismus, in der Region Labertal. Neben der dauernden Vortragsreihe „Der Kleine Widerstand im Labertal“ präsentiert der AK immer wieder einzelne Arbeiten anderer Autoren. So auch am vergangenen Sonntag im vollbesetzten Kutscher-Stüberl des Schlosshotels Neufahrn. Nach der Vorstellung eines Kurzfilms und einzelner Referate, Arbeiten des Projektseminars 2010/12 des Gymnasiums Neutraubling zum Sterben und Überleben im KZ-Außenlager Obertraubling, folgte ein rege Diskussion zu den unterschiedlichen Aspekten erlebter Erinnerungskultur.
Im heutigen Neutraubling – bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs dem Fliegerhorst Obertraubling – befand sich zwischen Februar und April 1945 ein Außenlager des Konzentrationslagers Flossenbürg. Lange war das Thema in Obertraubling und Neutraubling ein Tabu. 2010/2012 hat das Projekt-Seminar Geschichte 2010/2012 des Gymnasiums Neutraubling die Geschehnisse vor 68 Jahren recherchiert und dokumentiert.
Geschichtslehrerin und Archivpflegerin Heike Wolter und die Schülerinnen und Schüler des P-Seminars erstellten dazu ein Buch mit dem Titel "’Wenn der Krieg um 11 Uhr aus ist, seid ihr um 10 Uhr alle tot!’ - Sterben und Überleben im KZ-Außenlager Obertraubling“, das im Verlag edition riedenburg, Salzburg, erschienen ist. Auch ein Kurzfilm ist hierzu entstanden, in dem ehemalige Häftlinge, aus ihren Erinnerungen dazu beitragen, ein umfassendes Bild des Lagers zu zeichnen. Die heute in den USA lebenden Moishe Mantelmacher und die Brüder Emil und Bernard Kalfus berichteten als einige der wenigen Überlebenden über ihre Erlebnisse und die Zustände im KZ-Außenlager Obertraubling sowie auf dem Todesmarsch nach Dachau. Moishe Mantelmacher: "Es war das schlimmste Lager, in dem ich jemals war. Ich habe neun erlebt." Durch die Aussagen der ehemals Inhaftierten ließ diese Arbeit niemanden im Saal unbeeindruckt. Im Fokus des Films steht aber auch die schwierige Erinnerungskultur in den betroffenen Gemeinden.
Sterben und Überleben im KZ-Außenlager Obertraubling
In Einzelbeiträge präsentierten zwei Schüler die wichtigsten Ergebnisse ihrer Arbeit. Barbara Völkl referierte zum KZ-Stammlager Flossenbürg sowie die Entstehung und die Lebensbedingungen im Obertraublinger Lager. Der Messerschmitt-Konzern, seinerzeit einer der bedeutendsten Produzenten von Militärflugzeugen in Nazideutschland, übernahm bereits im Jahr 1940 den vier Jahre zuvor gegründeten Fliegerhorst der Luftwaffe in Obertraubling, um diesen zu einem riesigen Produktionsstandort auszubauen.
In zwei sogenannten Russenlagern, auf und neben dem Werksgelände, wurden ca. 2.750 russische Kriegsgefangene (Stand Dezenber1942), zumeist Offiziere, interniert und für die Produktion der Flugzeuge herangezogen. Nach der Bombardierung des Regensburger Messerschmitt-Werkes im August 1943 wurden große Teile der Jäger-Produktion nach Obertraubling und später in die Waldwerken bei Hagelstadt („Gauting“) und Mooshof („Staufen“) verlegt. Von hier aus wurden sie nachts nach Obertraubling gebracht, von wo aus sie starteten.
Im Februar 1945 schickte man 600 männliche Häftlinge, die Hälfte von ihnen Juden, die meist schon aus den Vernichtungslagern im Osten auf sogenannte Todesmärsche geschickt worden waren, in Begleitung von 50 SS-Männern nach Obertraubling. Die Aufgabe des Außenkommandos war es, die Schäden aus den Bombardements der alliierten Verbände an den Flugbahnen zu beseitigen. Untergebracht wurden sie im sogenannten Casinobau, der ursprünglich für deutsche Offiziere gedacht war, ein Rohbau ohne Dach und Fenster. Sowohl die körperliche Verfassung als auch die Verpflegungslage der Gefangenen waren desaströs. Ruhr, Fleckfieber und Typhus brachen aus. Misshandlungen standen auf der Tagesordnung und Morde sind überliefert. Nach 58 Tagen, die das Lager bestand, waren bereits ca. 20 Prozent der Häftlinge tot. Am 16. April 1945 wurde das Außenkommando Obertraubling von der SS aufgelöst. Marschunfähige und Kranke brachte man per Lastwagen und Eisenbahn ins Konzentrationslager Dachau. Die anderen mussten sich zu Fuß auf den Weg dorthin begeben und nur wenige überlebte diesen Todesmarsch.
Im Beitrag von Andreas Gröschl wurde die Erinnerungskultur in Obertraubling und Neutraubling kritisch betrachtet. Das ehemalige Messerschmitt-Gelände stellt heute das Zentrum Neutraublings dar. Das umgebaute ehemalige Häftlings-Gebäude, das so genannte Casino, wird heute von einem Restaurant „Ratskeller“ genutzt, das Rathaus der 1951 gegründeten Gemeinde Neutraubling befindet sich direkt daneben. Erst 2005, sechzig Jahre nach Kriegsende, sei in einer Ausstellung das Außenlager breiter thematisiert worden, so Gröschl in seinem Vortrag.
Im Jahr 1949 ließ das Bayerische Landesentschädigungsamt einen KZ-Friedhof errichten, auf dem rund 280 Leichname bestattet wurden. Als Ehrenmal stellte man ein fünf Meter hohes Eisenkreuz auf. Bereits 1957, nur sechs Jahre später, wurden, wie an fast allen ehemaligen Gedenkstätten in der Region mit Ausnahme des Judenfriedhofs bei Pfaffenberg, die Gebeine exhumiert und teils in die ehemalige Heimat der Verstorbenen und teils zum KZ-Friedhof Flossenbürg in die kurz vorher angelegte Gedenkstätte umgebettet. Das Eisenkreuz verlegte man in den gemeindlichen Friedhof.
Konkurrierende Opfergruppen
Nach dem Krieg war der Fliegerhorst schwer beschädigt, insbesondere war der Großteil der Flugzeughallen zerstört worden. In den teilweise noch stehenden, jetzt freigewordenen Unterkünften wurden zahlreiche Flüchtlinge und Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten untergebracht. Dank ihres Wissens und ihrer Zielstrebigkeit entstand rasch eine blühende Industriegemeinde. Ausgehend von den noch vorhandenen Produktionseinrichtungen und Facharbeitern entstanden zahlreiche, zunächst kleinere Gewerbebetriebe. Fliegerhorst und KZ-Friedhof wurde in Bauland verwandelt. Am 1. April 1951 wurde die so entstandene Siedlung auf dem ehemaligen Flughafen zur selbstständigen Gemeinde Neutraubling. Flüchtlinge und Vertriebene, selbst Opfer des Krieges begründeten aber auch ihre eigene Erinnerungskultur. Niemand in Ober- und Neutraubling wollte mehr vom KZ-Außenlager und über die „anderen Opfer“ etwas wissen.
Erst seit dem Jahr 2006 steht vor dem Neutraublinger Rathaus ein zwei Tonnen schwerer Findling aus Flossenbürger Granit, der an die Opfer des KZ-Außenlagers und an alle anderen Toten des Flugplatzes erinnern soll. Seit 2006 existiert darüber hinaus ein Rundweg mit der Bezeichnung „Auf den Spuren des Flugplatzes“, in dessen Verlauf Informationstafeln Auskunft über die vormalige Nutzung des Geländes geben sollen. Nach langen Jahren des Vergessens erklärt heute eine Rundgangstafel neben dem fünf Meter hohen Eisenkreuz auf dem gemeindlichen Friedhof die ursprüngliche Bedeutung als Mahnmal für die Toten des Außenlagers Obertraubling.
"Das hat doch mit uns nichts zu tun“
Über die Erinnerungskultur – auch in der Region Labertal - ging es in der anschließenden, intensiven Diskussion. Antworten wie "Davon habe ich ja noch nie etwas gehört" oder "Das hat doch mit uns nichts zu tun", hören auch die Mitglieder des AK Labertal, wenn sie mit der Vortragsreihe „Der Kleine Widerstand“ oder anderen Themen die regionale Heimatgeschichte um das Kapitel 1933-45 zu erweitern versuchen. Das Projekt des Gymnasiums Neutraubling zeigt auf, dass die Geschichte der NS-Zeit auch für junge Leute interessant und überaus informativ sein kann. Insbesondere, wenn sie in ihrem eigenen Lebensumfeld verortet ist. Deutlich wurde, dass die Jugendlichen unbefangen, unvoreingenommen und unbelastet an dieses Thema heran gehen konnten, anders als die Eltern- oder Großelterngeneration bisher. Die Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte vor der eignen Haustüre, verändert auch die Einstellung der Beteiligten zu Politik und Nationalsozialismus, konnten die Zuhörer erfahren. „Wer sich so intensiv mit dem Gedankengut der Nazis beschäftigt hat, ist immun gegen alle Verlockungen der braunen Ideologie“, brachte es ein Zuhörer auf den Punkt.
Auch die (finanziellen) Grenzen einer solchen Projektarbeit wurde thematisiert. So wichtig und bedeutend Schülerarbeiten dieser Qualität – egal aus welchem Fachbereich – sind, um so erstaunlicher ist der geringe finanzielle Spielraum, den das Kultusministerium dafür vorsieht. Mit wenigen Hundert Euro, allein für Referentenhonorare, lässt sich keine intensive Arbeit mit anschließender Dokumentation erreichen. Schulleiter, die solche Arbeiten unterstützen, scheitern meist beim Einwerbung von Drittmitteln und Spenden – das bayerische Schulsystem sieht so etwas einfach nicht vor.
Zu Recht erfuhr die Schülerarbeit zum KZ-Außenlager Obertraubling deshalb – nicht nur in der Veranstaltung –vielfach Lob und Anerkennung. Neben dem Oberstufen-Preis Geschichte der Stadt und des Landkreises Regensburg 2012 wurden die Schüler auch mit dem Simon-Snopkowski-Preis 2012 bedacht. Um ihre Studie der Öffentlichkeit nahe zu bringen, drehten die Gymnasiasten in Zusammenarbeit mit den BR Bildungsprojekten einen bewegenden Dokumentarfilm, der im Internet frei zugänglich ist:
http://www.br.de/import/audiovideo/bildungsprojekte-obertraubling100.html