Bei der Vorstellung der neugestalteten Ausstellungstafeln mit dabei: v.l. Ulrich Scharrer, Lehrer, Autor und Historiker, Erhard Fendl (SPD-OV Straubing), Referent Albert Eichmeier, SPD-AK-Sprecher Rainer Pasta, Lehrerin Eva Geisperger und der Internist Thomas Kammermeier
Auch in Straubing verteilten mutige Menschen sozialdemokratische Schriften
Der Kleine Widerstand in deutsch-tschechischen Grenzgebiet - Hilfe für Flüchtlinge und Information der Bevölkerung
Widerstand und Verfolgung betrafen die Sozialdemokraten im Sudetenland wie in Niederbayern und der Oberpfalz – nicht selten Seite an Seite - während des NS-Regimes. Gerade die Unterstützung der Flüchtlinge aber auch die Information der Genossinnen und Genossen im Reich - und damit auch eines interessierten Teiles der Bevölkerung – lag der ExilSPD am Herzen. Mutige Männer und Frauen – auch aus Straubing - schmuggelten illegales Material, darunter die im Prager Exil gedruckten Parteizeitungen ‚Neuer Vorwärts‘ und ‚Sozialistische Aktion‘, unter größten Gefahren über die bayerisch-tschechische Grenze und verbreitete es in ganz Bayern - mit dem Zug, dem Fahrrad und Motorrad oder auch zu Fuß oder auf Skiern. Albert Eichmeier referierte vergangenen Sonntag im Café Fratelli zum „Kleinen Widerstand in Straubing“.
Albert Eichmeier hat auf Einladung der Labertaler SPD die Beziehungen der Exil-SPD zu den Sudetendeutschen Sozialdemokraten zum Anlass genommen, die Widerstandstätigkeit in unserer Region zu durchleuchten. Er wurde fündig und hat viele exklusive Dokumente zusammengetragen und Verfahren gegen SPDler aus Regensburg, Landshut und Straubing aufgearbeitet. Der SPD-AK Labertal gestaltete daraus zwei Ausstellungstafeln die erstmals am 22. April in Straubing vorgestellt und in die Seliger-Ausstellung – noch bis zum 6. Mai im Salzstadel zu besichtigen - integriert wurden.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten und dem Verbot der SPD 1933 kamen zahlreiche Funktionäre in "Schutzhaft", andere konnten emigrieren und bildeten die Sopade (Sozialdemokratische Partei Deutschlands), den Exilvorstand der SPD in Prag. Teile der Exil-SPD hatten sich frühzeitig auf den Widerstand gegen den Faschismus eingestellt. Aufgrund ihrer finanziellen Unabhängigkeit waren sie in der Lage, eigene Grenzsekretariate zu unterhalten, um den Transport illegalen Materials zu erleichtern und Kuriere von und nach Deutschland zu unterstützen.
In Karlsbad erschien die erste Nummer der sozialdemokratischen Wochenzeitung 'Neuer Vorwärts'. In dem Aufruf heißt es: »Zerbrecht die Ketten! Der Welt die Wahrheit zu sagen und dieser Wahrheit auch den Weg nach Deutschland zu öffnen, ist unsere Aufgabe.« Die Sopade forderte die sozialdemokratischen Gruppen im Untergrund dazu auf, "Massenagitation" zu betreiben und die geschmuggelten Schriften an möglichst viele Menschen zu verbreiten. Unmengen raffiniert getarnter, in Kleinstformat und auf Dünndruckpapier gedruckter Zeitungen, Flugblätter und Broschüren gelangten über Kuriere und Angestellte der Speisewagengesellschaft Mitropa in den folgenden Monaten ins Reich. Im ersten Jahr ihres Erscheinens sollen etwa zwei Mio. Exemplare des 'Neuen Vorwärts' nach Deutschland gebracht worden sein. Eichmeier präsentierte eine Reihe neuentdeckter Dokumente, Anzeigen und Untersuchungsberichte, die sich mit dem Schmuggel illegaler Schriften per Bahn über Passau und Regensburg beschäftigten.
Ein Leben für Freiheit und Gerechtigkeit
Regensburg war wegen seiner geographischen Lage zu einem wichtigen Verteilungsknoten für die größeren Städte wie Nürnberg und München geworden. Ansprechpartner dort war Hans Weber. Dieser leitete die Gruppe, hielt Verbindung mit der Parteileitung in Prag und organisierte die Verbreitung der eingeschmuggelten Schriften in Südbayern. Die vielen Reisen von Regensburg nach Schwandorf, Amberg, Weiden, Landshut, Straubing, München und einige Male auch über die Grenze in die CSR unternahm Weber teils per Fahrrad, teils mit dem Motorrad des ehemaligen Landtagsabgeordneten Alfons Bayerer, im Winter teils als Skitourist.
Bereits im Frühling 1934 gelang es der Gestapo in den Widerstandszirkel einzubrechen. Albert Eichmeier lokalisierte 160 Strafverfahren gegen Straubingerinnen und Straubinger vor den Sondergerichten Nürnberg und München bzw. vor dem Oberlandesgericht München in den Jahren 1933 - 1945. Darunter auch ein Massenverfahren wegen Einfuhr und Verbreitung illegalen SPD-Propagandamaterials. Unter den 175 Angeklagten waren auch elf Straubinger.
„In Straubing gelang es im September 1933 dem Regensburger Sozialdemokraten Weber, den Beschuldigten Josef Joringer jun., als Vertrauensmann für Straubing zu gewinnen. Joringer erhielt marxistische Literatur in der Zeit von Sept. 33 – April 34 teils von Weber überbracht, teils holte er sie selber in Regensburg bei Weber und der dortigen Abholstelle Bayerer – wohl versteckt unter dem Sattel im Fahrradrahmen; bei den Fahrten nach Regensburg begleitete und unterstützte den Joringer seine Braut, die Beschuldigte Helene Lettner, die in alles eingeweiht war“ so die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. „Joringer gewann als Unterverteiler für Straubing den Beschuldigten Josef Strassmeier, der von Nov. 33 – März 34 die Zeitungen gegen Bezahlung an Interessenten abgab; auch der Vater des Joringer jun., der Beschuldigte Josef Joringer sen., verteilte als Gehilfe seines Sohnes einzelne Zeitungen gegen Bezahlung an Interessenten. Die Beschuldigten Wilhelmine Laumer, Alois Kolbeck, Heinrich Liebl, und Peter Räuschl nahmen verschiedenermale gegen Bezahlung Zeitungen entgegen im Bewusstsein, dass sie sowohl durch den Bezug der Zeitungen als durch die Bezahlung derselben den Wiederaufbau der Partei förderten“, lautete die weitere Anklage. Weiter angeklagt wurden auch Bruno Richter, Andreas und Katharina Massandl sowie Josef Feldmeier, Kranführer in Nürnberg, geb. in Meidendorf/Bogen, wegen Besitzes illegaler Schriften bzw. Kuriertätigkeit. Josef Jorninger sen. wurde zu 1 Jahr 7 Monaten Gefängnis, Josef Strassmeier zu 8 Monaten, Josef Joringer jun. zu 2 Jahre verurteilt. Letzterer wurde anschließend bis Mai 1939 im KZ Dachau inhaftiert. Die Verfahren gegen Alois Kolbeck, Heinrich Liebl und Peter Räuschl wegen Besitzes der verbotenen Schriften „Neuer Vorwärts“ und „Sozialistische Aktion“ wurde 1934 eingestellt. Für Richter, Massandl und Feldmeier sind keine Urteile gefunden worden.
Der „Witze-Erzähler“, der „Judenfreund“ und die „Kriegskritikerin“
Aus den weiteren Verfahren gegen Straubingerinnen und Straubinger wählte Eichmeier drei bisher unbekannte Beispiele aus, die exemplarisch aufzeigten, wie die Menschen im NS-Regime verfolgt wurden. So etwa ein Straubinger Schreibmaschinenmechaniker Bruno Hauck, der seinen Unmut gegen das Regime in derben Witzen Luft machte. Bis er in Cham 1944 an den Falschen geriet und angezeigt wurde. Wegen Beleidigung Hitlers und Wehrkraftzersetzung drohten im 5-6 Jahre Zuchthaus. Das Gericht verurteilte den „politisch unzuverlässigen Schwätzer“ zu 2 Jahren Gefängnis – in der Anklageschrift sind ein paar seiner Witze dokumentiert worden.
Der Kraftfahrer Ludwig Weber wurde 1940 zu 6 Wochen Haft verurteilt, weil er bei einem Glas Bier in Bayerisch Eisenstein seine Meinung zum Hitler-Stalin-Pakt kundtat und dabei äußerte, dass „Hitler nun den Juden ihre Besitztümer zurückgeben und die Synagogen wieder aufbauen müsse“, das habe Russland dem Führer diktiert. Zugute kam ihm „sein geringer Verstand“ und die „fehlende politische Einsicht“.
Viel härter traf es die Sozialrentnersehefrau Maria Bugl. Die Soldatenmutter – ihr Sohn wurde in Stalingrad vermisst – äußerte sich 1942 gegenüber einem Soldaten auf Heimaturlaub dahingehend, dass „der Krieg eh verloren sei“, einer Bekannten gegenüber erklärte sie, dass nicht nur die Russen Frauen und Kinder ermordeten, sondern auch die Deutschen. Während des Verfahrens wegen Wehrkraftzersetzung saß sie im Gefängnis Straubing ein und ein handschriftlicher Briefwechsel ihrer Tochter bezüglich der Besuchserlaubnis ist erhalten. Das Verfahren zog sich bis zum Frühjahr 1945 hin und musste aus dem bombardierten München nach Fürstenfeldbruck und Buchloe verlegt werden. Selbst der Reichsminister der Justiz forderte noch im Januar 1945 die Bestrafung der Frau. Und in einem der letzten Urteile in Bayern wurde Maria Bugl im März 1945 zu 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt, wobei ihr die Untersuchungshaft angerechnet wurde – die ständige Vertagung und das milde Urteil deuten wohl darauf hin, dass die Richter vom Endsieg auch nicht unbedingt überzeugt waren und sich eine „gute Ausgangsposition“ für die Nachkriegszeit sichern wollten.
Albert Eichmeier gab den Zuhörern eine Reihe von detaillierten Hinweisen, wie interessierte Bürger selbst sich zu den Vorkommnissen während der NS-Zeit in ihrem Heimatort informieren können. Insbesondere Straubinger Akten seien im Staatsarchiv Nürnberg zu finden, weil Straubing zum Einflussbereich des Sondergerichtes Nürnberg gehört habe, aber auch in München und Berlin gäbe es Akten, wenn andere Gerichte zuständig gewesen waren.